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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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Studien sind, so droht doch die Ueberfüllung des Marktes mit pgo_283.002
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geschichtliche Standpunkt verrückt wird und der eines bewundernden pgo_283.004
Dilettantismus an seine Stelle tritt. Herder's "Stimmen der pgo_283.005
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" ist eine Mustersammlung, die aus jener Auffassung hervorging, pgo_283.006
während Arnim's und Brentano's "des Knaben Wunderhorn" den pgo_283.007
zweiten Standpunkt vertritt. Der sinnige Literaturforscher reihte die pgo_283.008
Liederblüthen aller Völker, besonders der germanischen und slavischen pgo_283.009
Stämme, deren Gemüthsinnigkeit am reichsten und fruchtbarsten hervortritt, pgo_283.010
zum Kranz; er zeigte damit, wie mannichfach sich der nationale pgo_283.011
Genius in diesen dichterischen Hervorbringungen spiegelte, und gab eine pgo_283.012
willkommene Ergänzung zur Kulturgeschichte der Völker. Arnim und pgo_283.013
Brentano dagegen sammelten ihre oft rohen, oft süßlichen, meistens pgo_283.014
dilettantisch überzuckerten Volkslieder als Dichtungen von höchstem poetischem pgo_283.015
Werth, als ein "Wunderhorn" für den deutschen Knaben, als eine pgo_283.016
Bildungsschule der Nation. Und nach dem Vorgange der Romantiker pgo_283.017
erhielten wir nicht nur serbische und baskische, wallachische, litthauische pgo_283.018
und dalmatische, sondern auch finnische, esthische, lappische Volkslieder, pgo_283.019
kurz, ein ganzes lyrisches Kuriositätenkabinet, das wohl kein größeres pgo_283.020
Jnteresse in Anspruch nehmen darf, als eine große Waffensammlung, in pgo_283.021
welcher neben dem altdeutschen Ritterschwert der Kupferspieß des Eskimo pgo_283.022
nicht fehlt. Andere Sänger eilten im Harz und in allen deutschen Gebirgen pgo_283.023
alte und frische Liederspuren aufzusuchen; noch andere streiften mit pgo_283.024
Rousseau's Hast die ganze moderne Kultur ab, um in den Urwäldern pgo_283.025
des Volksliedes auf allen Vieren zu kriechen. Hiergegen läßt sich erinnern, pgo_283.026
daß kein Dichter, der Dauerndes schaffen will, seine Bildung verleugnen pgo_283.027
soll, um in den Tiefen etwas Höheres zu suchen. Die verkehrte pgo_283.028
Volksthümlichkeit ist auf allen Gebieten eine Reaktion gegen den Fortschritt pgo_283.029
der Literatur. Oder welcher Dichter des Augusteischen Zeitalters pgo_283.030
hätte seinen Ruhm darin gesucht, die Kunstbildung zu verleugnen, die pgo_283.031
Ennius, der römische Opitz, seinem Volk geschaffen, um nach dem Gesetz pgo_283.032
einer rohen, unplastischen Rhythmik die alten saturninischen Verse wieder pgo_283.033
aufzuwecken? Alle Ehre den naiven Sängern oder dem dichtenden Volksgeiste pgo_283.034
selbst, der seine Empfindungen in urwüchsigen Liedern ausströmt -- pgo_283.035
aber die Wiedererweckung eines rohern Styls und knittelversartiger

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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/305>, abgerufen am 23.11.2024.