Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_274.001 Singe, wem Gesang gegeben pgo_274.006 Jn dem deutschen Dichterwald! pgo_274.007 Das ist Freude, das ist Leben, pgo_274.008 Wenn's von allen Zweigen schallt. pgo_274.009 Nicht an wenig stolze Namen pgo_274.010 Jst die Liederkunst gebannt -- pgo_274.011 Ausgestreuet ist der Samen pgo_274.012 Ueber alles deutsche Land. pgo_274.013 pgo_274.001 Singe, wem Gesang gegeben pgo_274.006 Jn dem deutschen Dichterwald! pgo_274.007 Das ist Freude, das ist Leben, pgo_274.008 Wenn's von allen Zweigen schallt. pgo_274.009 Nicht an wenig stolze Namen pgo_274.010 Jst die Liederkunst gebannt — pgo_274.011 Ausgestreuet ist der Samen pgo_274.012 Ueber alles deutsche Land. pgo_274.013 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0296" n="274"/><lb n="pgo_274.001"/> genannt. Jn der That ist in sangeslustigen Zeiten ihr Auftreten <lb n="pgo_274.002"/> ein massenhaftes — wir erinnern nur an die Zeit der Troubadours und <lb n="pgo_274.003"/> Trouvères, der Minne- und Meistersänger. Von der Liederdichtung <lb n="pgo_274.004"/> gelten die Uhland'schen Verse:</p> <lb n="pgo_274.005"/> <lg> <l>Singe, wem Gesang gegeben</l> <lb n="pgo_274.006"/> <l>Jn dem deutschen Dichterwald!</l> <lb n="pgo_274.007"/> <l>Das ist Freude, das ist Leben,</l> <lb n="pgo_274.008"/> <l>Wenn's von allen Zweigen schallt. </l> </lg> <lg> <lb n="pgo_274.009"/> <l>Nicht an wenig stolze Namen</l> <lb n="pgo_274.010"/> <l>Jst die Liederkunst gebannt —</l> <lb n="pgo_274.011"/> <l>Ausgestreuet ist der Samen</l> <lb n="pgo_274.012"/> <l>Ueber alles deutsche Land.</l> </lg> <p><lb n="pgo_274.013"/> Jn der That kann auch der naturwüchsigen Empfindung des Volkes, <lb n="pgo_274.014"/> wie dem gebildeten Dilettantismus der Ausdruck der Stimmung in <lb n="pgo_274.015"/> einem kurzathmigen Liede so trefflich gelingen, daß dem echten Dichtertalente <lb n="pgo_274.016"/> der Preis streitig gemacht wird. Auch hierin finden wir wieder <lb n="pgo_274.017"/> einen Beweis dafür, daß man die Liederdichtung nicht überschätzen darf. <lb n="pgo_274.018"/> Wir haben es z. B. an <hi rendition="#g">Niklas Becker's</hi> „Rheinlied“ gesehn, daß in <lb n="pgo_274.019"/> dieser dichterischen Atomistik auch denen bisweilen ein Wurf glückt, denen <lb n="pgo_274.020"/> die Pforten der Poesie sonst verschlossen sind. Ueber die meisten Menschen <lb n="pgo_274.021"/> kommt eine Epoche der Poesie, wo das eigene Leben gleich einer sich nur <lb n="pgo_274.022"/> einmal erschließenden Blume aufblüht. Die Empfindung krystallisirt sich <lb n="pgo_274.023"/> zum <hi rendition="#g">Gedichte</hi> und zwar zum <hi rendition="#g">Liede,</hi> weil das die einfachste und <lb n="pgo_274.024"/> leichteste Form ist. Solche Liederchen spielen zahllos wie die Mücken im <lb n="pgo_274.025"/> Sonnenschein. Wie jede Persönlichkeit die Welt anders abspiegelt, wie <lb n="pgo_274.026"/> jeder Mensch seinen eigenen Styl und seine eigene Handschrift hat: so <lb n="pgo_274.027"/> könnte auch in diesen leichthinflatternden Liederchen die Eigenthümlichkeit <lb n="pgo_274.028"/> des Autors zur Geltung kommen, wenn nicht der Mangel an Formbeherrschung <lb n="pgo_274.029"/> und echter Begabung alle diese Dilettanten unwillkürlich in <lb n="pgo_274.030"/> die ausgefahrenen Gleise einer für sie denkenden und dichtenden Sprache <lb n="pgo_274.031"/> führte. Der Sprache das Gepräge seiner Eigenthümlichkeit aufzudrücken, <lb n="pgo_274.032"/> gelingt nur dem Genius, dessen Liedergaben sich dadurch von der Lyrik <lb n="pgo_274.033"/> der Masse unterscheiden. Jedes Atom der Empfindung läßt sich im <lb n="pgo_274.034"/> <hi rendition="#g">Liede</hi> dichterisch verwerthen. Jedes nächste Ereigniß des geselligen und <lb n="pgo_274.035"/> Familienlebens kann eine Stimmung entzünden, die sich im <hi rendition="#g">Liede</hi> aussingt; </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [274/0296]
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genannt. Jn der That ist in sangeslustigen Zeiten ihr Auftreten pgo_274.002
ein massenhaftes — wir erinnern nur an die Zeit der Troubadours und pgo_274.003
Trouvères, der Minne- und Meistersänger. Von der Liederdichtung pgo_274.004
gelten die Uhland'schen Verse:
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Singe, wem Gesang gegeben pgo_274.006
Jn dem deutschen Dichterwald! pgo_274.007
Das ist Freude, das ist Leben, pgo_274.008
Wenn's von allen Zweigen schallt.
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Nicht an wenig stolze Namen pgo_274.010
Jst die Liederkunst gebannt — pgo_274.011
Ausgestreuet ist der Samen pgo_274.012
Ueber alles deutsche Land.
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Jn der That kann auch der naturwüchsigen Empfindung des Volkes, pgo_274.014
wie dem gebildeten Dilettantismus der Ausdruck der Stimmung in pgo_274.015
einem kurzathmigen Liede so trefflich gelingen, daß dem echten Dichtertalente pgo_274.016
der Preis streitig gemacht wird. Auch hierin finden wir wieder pgo_274.017
einen Beweis dafür, daß man die Liederdichtung nicht überschätzen darf. pgo_274.018
Wir haben es z. B. an Niklas Becker's „Rheinlied“ gesehn, daß in pgo_274.019
dieser dichterischen Atomistik auch denen bisweilen ein Wurf glückt, denen pgo_274.020
die Pforten der Poesie sonst verschlossen sind. Ueber die meisten Menschen pgo_274.021
kommt eine Epoche der Poesie, wo das eigene Leben gleich einer sich nur pgo_274.022
einmal erschließenden Blume aufblüht. Die Empfindung krystallisirt sich pgo_274.023
zum Gedichte und zwar zum Liede, weil das die einfachste und pgo_274.024
leichteste Form ist. Solche Liederchen spielen zahllos wie die Mücken im pgo_274.025
Sonnenschein. Wie jede Persönlichkeit die Welt anders abspiegelt, wie pgo_274.026
jeder Mensch seinen eigenen Styl und seine eigene Handschrift hat: so pgo_274.027
könnte auch in diesen leichthinflatternden Liederchen die Eigenthümlichkeit pgo_274.028
des Autors zur Geltung kommen, wenn nicht der Mangel an Formbeherrschung pgo_274.029
und echter Begabung alle diese Dilettanten unwillkürlich in pgo_274.030
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führte. Der Sprache das Gepräge seiner Eigenthümlichkeit aufzudrücken, pgo_274.032
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der Masse unterscheiden. Jedes Atom der Empfindung läßt sich im pgo_274.034
Liede dichterisch verwerthen. Jedes nächste Ereigniß des geselligen und pgo_274.035
Familienlebens kann eine Stimmung entzünden, die sich im Liede aussingt;
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