Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_260.001 Die Nacht ist finster, schwül und bang, pgo_260.007 Der Wind im Walde tost; pgo_260.008 Jch wandre fort die Nacht entlang pgo_260.009 Und finde keinen Trost. pgo_260.010 Daß ich dein auf ewig bliebe, pgo_260.012 Tiefes, felsumschloss'nes Thal, pgo_260.013 Traurig schön wie uns'rer Liebe pgo_260.014 Tiefe hoffnungsvolle Qual. pgo_260.015 pgo_260.035 pgo_260.001 Die Nacht ist finster, schwül und bang, pgo_260.007 Der Wind im Walde tost; pgo_260.008 Jch wandre fort die Nacht entlang pgo_260.009 Und finde keinen Trost. pgo_260.010 Daß ich dein auf ewig bliebe, pgo_260.012 Tiefes, felsumschloss'nes Thal, pgo_260.013 Traurig schön wie uns'rer Liebe pgo_260.014 Tiefe hoffnungsvolle Qual. pgo_260.015 pgo_260.035 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0282" n="260"/> <p><lb n="pgo_260.001"/> Für alle ansingenden Formen der Lyrik wird sich dieser Eingang als <lb n="pgo_260.002"/> unentbehrlich erweisen. Auch kann der <hi rendition="#g">Anfang</hi> bereits im <hi rendition="#g">Keime</hi> den <lb n="pgo_260.003"/> ganzen Jnhalt des Gedichtes enthalten, das nur in einer Evolution der <lb n="pgo_260.004"/> bereits ganz enthüllten Stimmung besteht, wie Lenau's „<hi rendition="#g">nächtige <lb n="pgo_260.005"/> Wanderung:</hi>“</p> <lb n="pgo_260.006"/> <lg> <l>Die Nacht ist finster, schwül und bang,</l> <lb n="pgo_260.007"/> <l>Der Wind im Walde tost;</l> <lb n="pgo_260.008"/> <l>Jch wandre fort die Nacht entlang</l> <lb n="pgo_260.009"/> <l>Und finde keinen Trost.</l> </lg> <p><lb n="pgo_260.010"/> oder Meißner's „<hi rendition="#g">Einsamkeit:</hi>“</p> <lb n="pgo_260.011"/> <lg> <l>Daß ich dein auf ewig bliebe,</l> <lb n="pgo_260.012"/> <l>Tiefes, felsumschloss'nes Thal,</l> <lb n="pgo_260.013"/> <l>Traurig schön wie uns'rer Liebe</l> <lb n="pgo_260.014"/> <l>Tiefe hoffnungsvolle Qual.</l> </lg> <p><lb n="pgo_260.015"/> Aehnlich „Schiller“ in „den Göttern Griechenlands,“ wo der Dichter <lb n="pgo_260.016"/> in der ersten Strophe bereits den ganzen Jnhalt des Gedichtes angiebt. <lb n="pgo_260.017"/> Es ist indeß nicht empfehlenswerth, alle Trümpfe der Empfindung am <lb n="pgo_260.018"/> Anfang auszuspielen; ihr allmähliches Anschwellen und Durchbrechen <lb n="pgo_260.019"/> ist künstlerischer. Die <hi rendition="#g">Entfaltung</hi> des Gedichtes bildet nun seine <lb n="pgo_260.020"/> <hi rendition="#g">Mitte;</hi> hier ist der Empfindung und Phantasie der weiteste Spielraum <lb n="pgo_260.021"/> gegeben. Sie kann in innig koncentrirten Klängen fast unausgeprägt <lb n="pgo_260.022"/> vom Anfang zum Schlusse hinüberleiten, sie kann von Bild zu Bild, von <lb n="pgo_260.023"/> Vorstellung zu Vorstellung in kühnen Sprüngen eilen oder ein Gewebe <lb n="pgo_260.024"/> von Bildern und Reflexionen ausbreiten, in welchen der rothe durchgehende <lb n="pgo_260.025"/> Faden sichtbar ist, der Anfang und Schluß verknüpft. Sie kann <lb n="pgo_260.026"/> im <hi rendition="#g">Refrain</hi> immer wieder den Grundton der Stimmung wiederholen, <lb n="pgo_260.027"/> in dem wiederkehrenden Verse gleichsam äußerlich, plastisch die <hi rendition="#g">innere <lb n="pgo_260.028"/> Einheit</hi> des Gedichtes andeuten. Solche Wiederholungen finden sich <lb n="pgo_260.029"/> besonders im „Volksliede,“ welches noch ein äußerliches Hilfsmittel <lb n="pgo_260.030"/> braucht, um nicht über den Kreis der Empfindung, den es beschreiben <lb n="pgo_260.031"/> will, hinauszufliegen. Der <hi rendition="#g">Refrain</hi> kann in der Wiederholung derselben <lb n="pgo_260.032"/> Worte bestehn, oder nur dieselbe Figuration des Verses und der <lb n="pgo_260.033"/> Wortstellung wiederholen, sonst aber der veränderten Situation durch den <lb n="pgo_260.034"/> veränderten Ausdruck Rechnung tragen.</p> <p><lb n="pgo_260.035"/> Der <hi rendition="#g">Schluß</hi> des lyrischen Gedichtes soll nicht blos ein harmonisches <lb n="pgo_260.036"/> Austönen der Stimmung sein; er soll sie noch einmal prägnant zusammenfassen; </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [260/0282]
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Für alle ansingenden Formen der Lyrik wird sich dieser Eingang als pgo_260.002
unentbehrlich erweisen. Auch kann der Anfang bereits im Keime den pgo_260.003
ganzen Jnhalt des Gedichtes enthalten, das nur in einer Evolution der pgo_260.004
bereits ganz enthüllten Stimmung besteht, wie Lenau's „nächtige pgo_260.005
Wanderung:“
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Die Nacht ist finster, schwül und bang, pgo_260.007
Der Wind im Walde tost; pgo_260.008
Jch wandre fort die Nacht entlang pgo_260.009
Und finde keinen Trost.
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oder Meißner's „Einsamkeit:“
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Daß ich dein auf ewig bliebe, pgo_260.012
Tiefes, felsumschloss'nes Thal, pgo_260.013
Traurig schön wie uns'rer Liebe pgo_260.014
Tiefe hoffnungsvolle Qual.
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Aehnlich „Schiller“ in „den Göttern Griechenlands,“ wo der Dichter pgo_260.016
in der ersten Strophe bereits den ganzen Jnhalt des Gedichtes angiebt. pgo_260.017
Es ist indeß nicht empfehlenswerth, alle Trümpfe der Empfindung am pgo_260.018
Anfang auszuspielen; ihr allmähliches Anschwellen und Durchbrechen pgo_260.019
ist künstlerischer. Die Entfaltung des Gedichtes bildet nun seine pgo_260.020
Mitte; hier ist der Empfindung und Phantasie der weiteste Spielraum pgo_260.021
gegeben. Sie kann in innig koncentrirten Klängen fast unausgeprägt pgo_260.022
vom Anfang zum Schlusse hinüberleiten, sie kann von Bild zu Bild, von pgo_260.023
Vorstellung zu Vorstellung in kühnen Sprüngen eilen oder ein Gewebe pgo_260.024
von Bildern und Reflexionen ausbreiten, in welchen der rothe durchgehende pgo_260.025
Faden sichtbar ist, der Anfang und Schluß verknüpft. Sie kann pgo_260.026
im Refrain immer wieder den Grundton der Stimmung wiederholen, pgo_260.027
in dem wiederkehrenden Verse gleichsam äußerlich, plastisch die innere pgo_260.028
Einheit des Gedichtes andeuten. Solche Wiederholungen finden sich pgo_260.029
besonders im „Volksliede,“ welches noch ein äußerliches Hilfsmittel pgo_260.030
braucht, um nicht über den Kreis der Empfindung, den es beschreiben pgo_260.031
will, hinauszufliegen. Der Refrain kann in der Wiederholung derselben pgo_260.032
Worte bestehn, oder nur dieselbe Figuration des Verses und der pgo_260.033
Wortstellung wiederholen, sonst aber der veränderten Situation durch den pgo_260.034
veränderten Ausdruck Rechnung tragen.
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Der Schluß des lyrischen Gedichtes soll nicht blos ein harmonisches pgo_260.036
Austönen der Stimmung sein; er soll sie noch einmal prägnant zusammenfassen;
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