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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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Verfassung gegeben. Er wünscht ihr eine Fortdauer dieses friedlichen, pgo_258.002
glücklichen Zustandes. Jetzt erst wendet sich der Sänger an Hieron selbst pgo_258.003
und wünscht ihm eine von den Künsten des Friedens, der Musik und pgo_258.004
Poesie verschönte Ruhe und Heiterkeit des Gemüthes. So verknüpft er pgo_258.005
künstlerisch die beiden disparaten Vorstellungsreihen, deren Zusammenhang pgo_258.006
sich vorher nicht überschauen läßt. Die Grundstimmung des pgo_258.007
Dichters ist eben hier eine innere Harmonie der Seele, welche nach entsprechenden pgo_258.008
Vorstellungen greift, sich in der Harmonie der Kunst und des pgo_258.009
Staatslebens spiegelt und dem gefeierten Helden des Tages das Glück pgo_258.010
ihrer eigenen Beruhigung zu erstreben anräth. Das Bild des Typhon pgo_258.011
hat dem Dichter überdies der lokale Zusammenhang eingegeben. Von pgo_258.012
ähnlicher Kühnheit in der Verknüpfung der dichterischen Bilder ist der pgo_258.013
römische Elegiker Tibull. Bei Horaz wiegt schon die Absichtlichkeit im pgo_258.014
kunstvollen Zusammenrücken des Entlegenen vor, ebenso bei Ramler pgo_258.015
und oft bei Klopstock. Doch auch in jenen Arten der Lyrik, in denen pgo_258.016
die kühneren Sprünge schwunghafter Begeisterung fehlen, kann die Komposition pgo_258.017
durch eine Reihe von Bildern hindurchgehn, ohne die innere pgo_258.018
Einheit vermissen zu lassen. Jn Lenau's Gedicht: der schwarze See pgo_258.019
ist es der tiefe, finst're Ernst der Weltanschauung, der, an das Naturbild pgo_258.020
anknüpfend, sich durch das Ganze hindurch bewegt. Auf diesem Rembrandt'schen pgo_258.021
Grunde der Seele spielen dann wechselnde Vorstellungen, die pgo_258.022
durch die wechselnden Vorgänge der umgebenden Natur bedingt werden. pgo_258.023
Jn den tiefen schwarzen See versenkt der Dichter anfangs seine Liebe pgo_258.024
und seine Hoffnungen. Da stürzt sich ein stürmisches Wetter in die düst're pgo_258.025
Fluth; das schnellverzitternde Bild wilder Blitze durchglüht sie, wie pgo_258.026
Erinnerungen aus beglückten Tagen sein verfinstert Herz:

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Sie rufen mir: o Thor! Was hat dein Wahn beschlossen! pgo_258.028
Die Hoffnung kannst und sollst du in das Grab hier stoßen. pgo_258.029
Doch willst in diesem See die Liebe du ertränken, pgo_258.030
So mußt du selber dich in seine Fluth versenken.

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Hier ist ein Fortgang der inneren Bewegung bis zur Einschränkung pgo_258.032
der früheren Empfindung; doch bleibt dadurch die Grundstimmung unverändert. pgo_258.033
Das Gefühl des Dichters, daß die Liebe mit seinem innersten pgo_258.034
Leben untrennbar verwachsen ist, löst sich, wie auch die Schlußwendung pgo_258.035
zeigt, nicht von jenem tiefdunklen Hintergrunde der Seele los.

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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/280>, abgerufen am 22.11.2024.