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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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durch Neubildungen bereichern, die allerdings nur so bildsamen pgo_141.002
und formenreichen Sprachen wie der griechischen und deutschen, zu Gesicht pgo_141.003
stehn. Der Ausdruck gewinnt dadurch an Kraft und Mark. Wenn wir pgo_141.004
die Participien der Verben, die meistens adjectivisch gebraucht werden pgo_141.005
und dadurch, daß sie das von ihnen regierte Object mit in sich hineinnehmen pgo_141.006
und mit ihm ein Wort bilden, eine große Zahl von Zusammensetzungen pgo_141.007
liefern, mit hinzu rechnen, so erhalten wir mehrere Klassen pgo_141.008
adjectivischer Komposita.

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Erstens: Beiwort und Beiwort vereinigen sich zu einem Worte: pgo_141.010
blondlockig, leichtbeschwingt, heiligroth (Heine), schwarzflüglicher pgo_141.011
Tod
(Euripides nach Fritze), weißflügliches Kreterschiff pgo_141.012
(Euripides).

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Zweitens: Beiwort und Hauptwort, und zwar kann das Hauptwort pgo_141.014
die nähere Bestimmung des Beiwortes sein z. B. thränenfeucht pgo_141.015
für: feucht von Thränen, thauschwer (Platen) für: schwer von pgo_141.016
Thau,
oder das Hauptwort enthält einen Vergleich: marmorblaß pgo_141.017
für: blaß wie Marmor, löwenbeherzt (Platen), beherzt wie ein Löwe, pgo_141.018
taubenmild (Heine), mild wie die Taube. Hierin liegt eine wesentliche pgo_141.019
Kräftigung der Anschaulichkeit des Ausdruckes, indem die Eigenschaft pgo_141.020
gleichsam mit demjenigen sinnlichen Object zusammenwächst, das pgo_141.021
sich vorzugsweise durch sie auszeichnet. Hierher gehören nun die activen pgo_141.022
Participien, die mit dem Accusativ, den sie regieren, ein Wort bilden: pgo_141.023
weinstocknährend (Platen), leichenwitternd (Heine), schicksalverkündend pgo_141.024
(Euripides) und die passiven Participien, welche das pgo_141.025
Substantiv, von dem sie regiert werden, mit in sich aufnehmen: säulengetragen pgo_141.026
(Schiller), prophetengefeiert (Heine).

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Drittens: Das Beiwort oder Participium nimmt eine Adverbial- pgo_141.028
oder Zahlbestimmung in sich auf: weitgähnend, schluchtwärtslockend, pgo_141.029
dreinamig, dreigestaltete
(Goethe).

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Die meisten dieser Adjectivbildungen sind indeß so gewichtig, daß sie pgo_141.031
sich für die leichteren Gattungen der Dichtkunst unbrauchbar erweisen. pgo_141.032
Jn einem Liede z. B. würden sie einen alle Grazie erdrückenden Eindruck pgo_141.033
machen, wie Felsblöcke, die man in einen Blumengarten gewälzt. Jn pgo_141.034
der Epopöe, in den Chören der griechischen Tragödie, in den Parabasen pgo_141.035
der Komödie, in den antiken und den ihnen nachgebildeten modernen

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(Euripides).

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(Goethe).

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Die meisten dieser Adjectivbildungen sind indeß so gewichtig, daß sie pgo_141.031
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[141/0163] pgo_141.001 durch Neubildungen bereichern, die allerdings nur so bildsamen pgo_141.002 und formenreichen Sprachen wie der griechischen und deutschen, zu Gesicht pgo_141.003 stehn. Der Ausdruck gewinnt dadurch an Kraft und Mark. Wenn wir pgo_141.004 die Participien der Verben, die meistens adjectivisch gebraucht werden pgo_141.005 und dadurch, daß sie das von ihnen regierte Object mit in sich hineinnehmen pgo_141.006 und mit ihm ein Wort bilden, eine große Zahl von Zusammensetzungen pgo_141.007 liefern, mit hinzu rechnen, so erhalten wir mehrere Klassen pgo_141.008 adjectivischer Komposita. pgo_141.009 Erstens: Beiwort und Beiwort vereinigen sich zu einem Worte: pgo_141.010 blondlockig, leichtbeschwingt, heiligroth (Heine), schwarzflüglicher pgo_141.011 Tod (Euripides nach Fritze), weißflügliches Kreterschiff pgo_141.012 (Euripides). pgo_141.013 Zweitens: Beiwort und Hauptwort, und zwar kann das Hauptwort pgo_141.014 die nähere Bestimmung des Beiwortes sein z. B. thränenfeucht pgo_141.015 für: feucht von Thränen, thauschwer (Platen) für: schwer von pgo_141.016 Thau, oder das Hauptwort enthält einen Vergleich: marmorblaß pgo_141.017 für: blaß wie Marmor, löwenbeherzt (Platen), beherzt wie ein Löwe, pgo_141.018 taubenmild (Heine), mild wie die Taube. Hierin liegt eine wesentliche pgo_141.019 Kräftigung der Anschaulichkeit des Ausdruckes, indem die Eigenschaft pgo_141.020 gleichsam mit demjenigen sinnlichen Object zusammenwächst, das pgo_141.021 sich vorzugsweise durch sie auszeichnet. Hierher gehören nun die activen pgo_141.022 Participien, die mit dem Accusativ, den sie regieren, ein Wort bilden: pgo_141.023 weinstocknährend (Platen), leichenwitternd (Heine), schicksalverkündend pgo_141.024 (Euripides) und die passiven Participien, welche das pgo_141.025 Substantiv, von dem sie regiert werden, mit in sich aufnehmen: säulengetragen pgo_141.026 (Schiller), prophetengefeiert (Heine). pgo_141.027 Drittens: Das Beiwort oder Participium nimmt eine Adverbial- pgo_141.028 oder Zahlbestimmung in sich auf: weitgähnend, schluchtwärtslockend, pgo_141.029 dreinamig, dreigestaltete (Goethe). pgo_141.030 Die meisten dieser Adjectivbildungen sind indeß so gewichtig, daß sie pgo_141.031 sich für die leichteren Gattungen der Dichtkunst unbrauchbar erweisen. pgo_141.032 Jn einem Liede z. B. würden sie einen alle Grazie erdrückenden Eindruck pgo_141.033 machen, wie Felsblöcke, die man in einen Blumengarten gewälzt. Jn pgo_141.034 der Epopöe, in den Chören der griechischen Tragödie, in den Parabasen pgo_141.035 der Komödie, in den antiken und den ihnen nachgebildeten modernen

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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/163>, abgerufen am 22.11.2024.