sagte die junge Frau. Er hat den Glauben, daß ein Kind, welches man nicht zur Taufe trage, sondern führe, träge werde und sein Lebtag seine Beine nie recht brauchen lerne. Wenn nur die Gotte (Pathin) da wäre, die versäumt am längsten, die Göttene machen es kür¬ zer und könnten immerhin nachlaufen." Die Angst nach den Gevatterleuten verbreitete sich durchs ganze Haus. "Kommen sie noch nicht?" hörte man allenthalten; in allen Ecken des Hauses schauten Gesichter nach ihnen aus, und der Türk bellte aus Leibeskräften, als ob er sie herbeirufen wollte. Die Großmutter aber sagte: "Ehe¬ mals ist das doch nicht so gewesen, da wußte man, daß man an solchen Tagen zu rechter Zeit aufzustehen habe und der Herr Niemanden warte." Endlich stürzte der Bub in die Küche mit der Nachricht: die Gotte komme.
Sie kam, schweißbedeckt und beladen wie das Neu¬ jahrkindlein. In der einen Hand hatte sie die schwarzen Schnüre eines großen blumenreichen Wartsäckleins, in welchem, in ein fein weißes Handtuch gewickelt, eine große Züpfe stach, ein Geschenk für die Kindbetterin. In der andern Hand trug sie ein zweites Säcklein und in demselben war eine Kleidung für das Kind, nebst etwelchen Stücken zu eigenem Gebrauch, namentlich schöne weiße Strümpfe, und unter dem einen Arme hatte sie noch eine Drucke mit dem Kränzchen und der Spitzenkappe mit den prächtigen schwarzseidenen Haar¬ schnüren. Freudig tönten ihr die Gottwilchen (in Gott willkommen) entgegen von allen Seiten und kaum hatte sie Zeit von ihrer Bürde eine abzustellen, um den ent¬ gegengestreckten Händen freundlich zu begegnen. Von allen Seiten langten dienstbare Hände nach ihren La¬ sten und unter der Thüre stand die junge Frau und
ſagte die junge Frau. Er hat den Glauben, daß ein Kind, welches man nicht zur Taufe trage, ſondern führe, träge werde und ſein Lebtag ſeine Beine nie recht brauchen lerne. Wenn nur die Gotte (Pathin) da wäre, die verſäumt am längſten, die Göttene machen es kür¬ zer und könnten immerhin nachlaufen.“ Die Angſt nach den Gevatterleuten verbreitete ſich durchs ganze Haus. „Kommen ſie noch nicht?“ hörte man allenthalten; in allen Ecken des Hauſes ſchauten Geſichter nach ihnen aus, und der Türk bellte aus Leibeskräften, als ob er ſie herbeirufen wollte. Die Großmutter aber ſagte: „Ehe¬ mals iſt das doch nicht ſo geweſen, da wußte man, daß man an ſolchen Tagen zu rechter Zeit aufzuſtehen habe und der Herr Niemanden warte.“ Endlich ſtürzte der Bub in die Küche mit der Nachricht: die Gotte komme.
Sie kam, ſchweißbedeckt und beladen wie das Neu¬ jahrkindlein. In der einen Hand hatte ſie die ſchwarzen Schnüre eines großen blumenreichen Wartſäckleins, in welchem, in ein fein weißes Handtuch gewickelt, eine große Züpfe ſtach, ein Geſchenk für die Kindbetterin. In der andern Hand trug ſie ein zweites Säcklein und in demſelben war eine Kleidung für das Kind, nebſt etwelchen Stücken zu eigenem Gebrauch, namentlich ſchöne weiße Strümpfe, und unter dem einen Arme hatte ſie noch eine Drucke mit dem Kränzchen und der Spitzenkappe mit den prächtigen ſchwarzſeidenen Haar¬ ſchnüren. Freudig tönten ihr die Gottwilchen (in Gott willkommen) entgegen von allen Seiten und kaum hatte ſie Zeit von ihrer Bürde eine abzuſtellen, um den ent¬ gegengeſtreckten Händen freundlich zu begegnen. Von allen Seiten langten dienſtbare Hände nach ihren La¬ ſten und unter der Thüre ſtand die junge Frau und
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0018"n="8"/>ſagte die junge Frau. Er hat den Glauben, daß ein<lb/>
Kind, welches man nicht zur Taufe trage, ſondern<lb/>
führe, träge werde und ſein Lebtag ſeine Beine nie recht<lb/>
brauchen lerne. Wenn nur die Gotte (Pathin) da wäre,<lb/>
die verſäumt am längſten, die Göttene machen es kür¬<lb/>
zer und könnten immerhin nachlaufen.“ Die Angſt nach<lb/>
den Gevatterleuten verbreitete ſich durchs ganze Haus.<lb/>„Kommen ſie noch nicht?“ hörte man allenthalten; in<lb/>
allen Ecken des Hauſes ſchauten Geſichter nach ihnen<lb/>
aus, und der Türk bellte aus Leibeskräften, als ob er<lb/>ſie herbeirufen wollte. Die Großmutter aber ſagte: „Ehe¬<lb/>
mals iſt das doch nicht ſo geweſen, da wußte man,<lb/>
daß man an ſolchen Tagen zu rechter Zeit aufzuſtehen<lb/>
habe und der Herr Niemanden warte.“ Endlich ſtürzte<lb/>
der Bub in die Küche mit der Nachricht: die Gotte<lb/>
komme.</p><lb/><p>Sie kam, ſchweißbedeckt und beladen wie das Neu¬<lb/>
jahrkindlein. In der einen Hand hatte ſie die ſchwarzen<lb/>
Schnüre eines großen blumenreichen Wartſäckleins, in<lb/>
welchem, in ein fein weißes Handtuch gewickelt, eine<lb/>
große Züpfe ſtach, ein Geſchenk für die Kindbetterin.<lb/>
In der andern Hand trug ſie ein zweites Säcklein und<lb/>
in demſelben war eine Kleidung für das Kind, nebſt<lb/>
etwelchen Stücken zu eigenem Gebrauch, namentlich<lb/>ſchöne weiße Strümpfe, und unter dem einen Arme<lb/>
hatte ſie noch eine Drucke mit dem Kränzchen und der<lb/>
Spitzenkappe mit den prächtigen ſchwarzſeidenen Haar¬<lb/>ſchnüren. Freudig tönten ihr die Gottwilchen (in Gott<lb/>
willkommen) entgegen von allen Seiten und kaum hatte<lb/>ſie Zeit von ihrer Bürde eine abzuſtellen, um den ent¬<lb/>
gegengeſtreckten Händen freundlich zu begegnen. Von<lb/>
allen Seiten langten dienſtbare Hände nach ihren La¬<lb/>ſten und unter der Thüre ſtand die junge Frau und<lb/></p></div></body></text></TEI>
[8/0018]
ſagte die junge Frau. Er hat den Glauben, daß ein
Kind, welches man nicht zur Taufe trage, ſondern
führe, träge werde und ſein Lebtag ſeine Beine nie recht
brauchen lerne. Wenn nur die Gotte (Pathin) da wäre,
die verſäumt am längſten, die Göttene machen es kür¬
zer und könnten immerhin nachlaufen.“ Die Angſt nach
den Gevatterleuten verbreitete ſich durchs ganze Haus.
„Kommen ſie noch nicht?“ hörte man allenthalten; in
allen Ecken des Hauſes ſchauten Geſichter nach ihnen
aus, und der Türk bellte aus Leibeskräften, als ob er
ſie herbeirufen wollte. Die Großmutter aber ſagte: „Ehe¬
mals iſt das doch nicht ſo geweſen, da wußte man,
daß man an ſolchen Tagen zu rechter Zeit aufzuſtehen
habe und der Herr Niemanden warte.“ Endlich ſtürzte
der Bub in die Küche mit der Nachricht: die Gotte
komme.
Sie kam, ſchweißbedeckt und beladen wie das Neu¬
jahrkindlein. In der einen Hand hatte ſie die ſchwarzen
Schnüre eines großen blumenreichen Wartſäckleins, in
welchem, in ein fein weißes Handtuch gewickelt, eine
große Züpfe ſtach, ein Geſchenk für die Kindbetterin.
In der andern Hand trug ſie ein zweites Säcklein und
in demſelben war eine Kleidung für das Kind, nebſt
etwelchen Stücken zu eigenem Gebrauch, namentlich
ſchöne weiße Strümpfe, und unter dem einen Arme
hatte ſie noch eine Drucke mit dem Kränzchen und der
Spitzenkappe mit den prächtigen ſchwarzſeidenen Haar¬
ſchnüren. Freudig tönten ihr die Gottwilchen (in Gott
willkommen) entgegen von allen Seiten und kaum hatte
ſie Zeit von ihrer Bürde eine abzuſtellen, um den ent¬
gegengeſtreckten Händen freundlich zu begegnen. Von
allen Seiten langten dienſtbare Hände nach ihren La¬
ſten und unter der Thüre ſtand die junge Frau und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/18>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.