Aber Manchem fröstelte es den Rücken auf, bis er daheim war, den Kopf auf dem Hauptkissen hatte. Keinem fehlte der Schlaf, aber dem Einen begann sein Bett zu schwimmen in der Emme, und Trämel um Trämmel fuhr auf ihn ein; ein Anderer sah die Bäue¬ rin daher fahren auf ihrem Wägelein und mit dem rothen Schnupftuch die Augen wischen; ein Dritter reckte die Hand nach dem Kirschenkratten, der über die Brücke herein gereicht ward, reckte und reckte, und konnte ihn doch nicht erlangen; ein Vierter war auf der Bärenjagd; ein Fünfter meinte er sei der Müller und fühlte des Ritters Streitaxt an seinem Schädel. Aber alle schliefen in weichen Betten, keine Schuttstatt war ihr Lager, keinem war ein theuer Haupt verloren gegangen, und wem kein Engel an der Haupteten wachte, dessen selbsteigene Schuld war es. Rechten Bericht, was in den Bergen vorgegangen, vernahm man erst am folgenden Tag.
Da hörte man, daß die ganze Dunst- und Nebel¬ masse, welche 8 Tage lang im Lande herum gewettert, am Samstag den Zug über die Berge umsonst versucht, sich gesammelt hatte in den obersten Thälern des Em¬ menthals, dießseits der Berge, welche das Emmenthal scheiden vom Oberland. Als ob allen Nebelschaaren, allen Wolkenheeren entboten worden wäre, sich loszu¬ reißen aus allen Thälern, von allen Höhen, sei es gewesen. Auf Windesflügeln, in Windessausen, sei Heer um Heer gekommen, hätte an der Hohnegg sich gelagert, um über dieselbe, in grauenvoller Masse ge¬ ballt, durchzubrechen ins Thunerthal, um von diesem lüsternen Städtchen weg sich den Weg zu bahnen aus dem frömmern Lande ins sinnlichere Land. Von Minute zu Minute sei dichter geworden und grauenvoller der
Aber Manchem fröſtelte es den Rücken auf, bis er daheim war, den Kopf auf dem Hauptkiſſen hatte. Keinem fehlte der Schlaf, aber dem Einen begann ſein Bett zu ſchwimmen in der Emme, und Trämel um Trämmel fuhr auf ihn ein; ein Anderer ſah die Bäue¬ rin daher fahren auf ihrem Wägelein und mit dem rothen Schnupftuch die Augen wiſchen; ein Dritter reckte die Hand nach dem Kirſchenkratten, der über die Brücke herein gereicht ward, reckte und reckte, und konnte ihn doch nicht erlangen; ein Vierter war auf der Bärenjagd; ein Fünfter meinte er ſei der Müller und fühlte des Ritters Streitaxt an ſeinem Schädel. Aber alle ſchliefen in weichen Betten, keine Schuttſtatt war ihr Lager, keinem war ein theuer Haupt verloren gegangen, und wem kein Engel an der Haupteten wachte, deſſen ſelbſteigene Schuld war es. Rechten Bericht, was in den Bergen vorgegangen, vernahm man erſt am folgenden Tag.
Da hörte man, daß die ganze Dunſt- und Nebel¬ maſſe, welche 8 Tage lang im Lande herum gewettert, am Samſtag den Zug über die Berge umſonſt verſucht, ſich geſammelt hatte in den oberſten Thälern des Em¬ menthals, dießſeits der Berge, welche das Emmenthal ſcheiden vom Oberland. Als ob allen Nebelſchaaren, allen Wolkenheeren entboten worden wäre, ſich loszu¬ reißen aus allen Thälern, von allen Höhen, ſei es geweſen. Auf Windesflügeln, in Windesſauſen, ſei Heer um Heer gekommen, hätte an der Hohnegg ſich gelagert, um über dieſelbe, in grauenvoller Maſſe ge¬ ballt, durchzubrechen ins Thunerthal, um von dieſem lüſternen Städtchen weg ſich den Weg zu bahnen aus dem frömmern Lande ins ſinnlichere Land. Von Minute zu Minute ſei dichter geworden und grauenvoller der
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Aber Manchem fröſtelte es den Rücken auf, bis er
daheim war, den Kopf auf dem Hauptkiſſen hatte.
Keinem fehlte der Schlaf, aber dem Einen begann ſein
Bett zu ſchwimmen in der Emme, und Trämel um
Trämmel fuhr auf ihn ein; ein Anderer ſah die Bäue¬
rin daher fahren auf ihrem Wägelein und mit dem
rothen Schnupftuch die Augen wiſchen; ein Dritter
reckte die Hand nach dem Kirſchenkratten, der über die
Brücke herein gereicht ward, reckte und reckte, und
konnte ihn doch nicht erlangen; ein Vierter war auf
der Bärenjagd; ein Fünfter meinte er ſei der Müller
und fühlte des Ritters Streitaxt an ſeinem Schädel.
Aber alle ſchliefen in weichen Betten, keine Schuttſtatt
war ihr Lager, keinem war ein theuer Haupt verloren
gegangen, und wem kein Engel an der Haupteten
wachte, deſſen ſelbſteigene Schuld war es. Rechten
Bericht, was in den Bergen vorgegangen, vernahm
man erſt am folgenden Tag.
Da hörte man, daß die ganze Dunſt- und Nebel¬
maſſe, welche 8 Tage lang im Lande herum gewettert,
am Samſtag den Zug über die Berge umſonſt verſucht,
ſich geſammelt hatte in den oberſten Thälern des Em¬
menthals, dießſeits der Berge, welche das Emmenthal
ſcheiden vom Oberland. Als ob allen Nebelſchaaren,
allen Wolkenheeren entboten worden wäre, ſich loszu¬
reißen aus allen Thälern, von allen Höhen, ſei es
geweſen. Auf Windesflügeln, in Windesſauſen, ſei
Heer um Heer gekommen, hätte an der Hohnegg ſich
gelagert, um über dieſelbe, in grauenvoller Maſſe ge¬
ballt, durchzubrechen ins Thunerthal, um von dieſem
lüſternen Städtchen weg ſich den Weg zu bahnen aus
dem frömmern Lande ins ſinnlichere Land. Von Minute
zu Minute ſei dichter geworden und grauenvoller der
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Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/142>, abgerufen am 16.02.2025.
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