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Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842.

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Schwellen mehr braucht, bis kein Herr mehr einen
Müller drückt, bis kein Freiherr mehr den Dank ver¬
gißt.

"Da erschrak die Familie, es kam ihr vor, als
werde dieser Fluch sie überleben; sie verkaufte Haus
und Hof. Sie wollte den grauenvollen Ahnherrn
nicht schwellen und hämmern hören von hohem Schlosse
in dunkler Nacht, an den Schwellen und Wehren der
Leibeigenen. Der alte aber mußte bleiben, wohin ihn
der Fluch gebannt; er konnte nicht mit seiner Familie
ziehen in die Bündnerlande, wohin sie sich wandte;
da wird er noch fürder bleiben; denn wann wird der
Fluch sich lösen, wann die Emme zahm werden, kein
Freiherr mehr den Dank vergessen?"

So sprach das Männchen, aber viel weitläufiger
als es hier zu lesen ist.

Seinen Zuhörern war manch kalter Schauer über
die Haut gelaufen; aber gar wohlig war es ihnen ums
Herz geworden, und die Schoppen, die sie bezahlten,
zählten sie nicht. Sie hätten die ganze Nacht durch
Schoppen gezahlt ungezählt, wenn das Männchen nur
die ganze Nacht durch erzählt hätte.

Aber er endigte, und wie er endigte, ging die
Thüre auf, und ein Ruck gabs durch Alle, und manch
Glas fiel zur Erde und manch anderes ward verschüt¬
tet; unter der Thüre sahen sie den alten Ritter, die
rothen Augenbraunen, flatternd im Nachtwinde.

Als sie wieder kaltblütiger wurden, sahen sie keinen
Ritter mehr, aber den Postillion der zurückgebliebenen
Post, welcher von seinen Pferden her in die Stube
kam im Stiefeltritt, mit rothe Augenbraunen flatternd
im Gesicht.

Schwellen mehr braucht, bis kein Herr mehr einen
Müller drückt, bis kein Freiherr mehr den Dank ver¬
gißt.

„Da erſchrak die Familie, es kam ihr vor, als
werde dieſer Fluch ſie überleben; ſie verkaufte Haus
und Hof. Sie wollte den grauenvollen Ahnherrn
nicht ſchwellen und hämmern hören von hohem Schloſſe
in dunkler Nacht, an den Schwellen und Wehren der
Leibeigenen. Der alte aber mußte bleiben, wohin ihn
der Fluch gebannt; er konnte nicht mit ſeiner Familie
ziehen in die Bündnerlande, wohin ſie ſich wandte;
da wird er noch fürder bleiben; denn wann wird der
Fluch ſich löſen, wann die Emme zahm werden, kein
Freiherr mehr den Dank vergeſſen?“

So ſprach das Männchen, aber viel weitläufiger
als es hier zu leſen iſt.

Seinen Zuhörern war manch kalter Schauer über
die Haut gelaufen; aber gar wohlig war es ihnen ums
Herz geworden, und die Schoppen, die ſie bezahlten,
zählten ſie nicht. Sie hätten die ganze Nacht durch
Schoppen gezahlt ungezählt, wenn das Männchen nur
die ganze Nacht durch erzählt hätte.

Aber er endigte, und wie er endigte, ging die
Thüre auf, und ein Ruck gabs durch Alle, und manch
Glas fiel zur Erde und manch anderes ward verſchüt¬
tet; unter der Thüre ſahen ſie den alten Ritter, die
rothen Augenbraunen, flatternd im Nachtwinde.

Als ſie wieder kaltblütiger wurden, ſahen ſie keinen
Ritter mehr, aber den Poſtillion der zurückgebliebenen
Poſt, welcher von ſeinen Pferden her in die Stube
kam im Stiefeltritt, mit rothe Augenbraunen flatternd
im Geſicht.

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[131/0141] Schwellen mehr braucht, bis kein Herr mehr einen Müller drückt, bis kein Freiherr mehr den Dank ver¬ gißt. „Da erſchrak die Familie, es kam ihr vor, als werde dieſer Fluch ſie überleben; ſie verkaufte Haus und Hof. Sie wollte den grauenvollen Ahnherrn nicht ſchwellen und hämmern hören von hohem Schloſſe in dunkler Nacht, an den Schwellen und Wehren der Leibeigenen. Der alte aber mußte bleiben, wohin ihn der Fluch gebannt; er konnte nicht mit ſeiner Familie ziehen in die Bündnerlande, wohin ſie ſich wandte; da wird er noch fürder bleiben; denn wann wird der Fluch ſich löſen, wann die Emme zahm werden, kein Freiherr mehr den Dank vergeſſen?“ So ſprach das Männchen, aber viel weitläufiger als es hier zu leſen iſt. Seinen Zuhörern war manch kalter Schauer über die Haut gelaufen; aber gar wohlig war es ihnen ums Herz geworden, und die Schoppen, die ſie bezahlten, zählten ſie nicht. Sie hätten die ganze Nacht durch Schoppen gezahlt ungezählt, wenn das Männchen nur die ganze Nacht durch erzählt hätte. Aber er endigte, und wie er endigte, ging die Thüre auf, und ein Ruck gabs durch Alle, und manch Glas fiel zur Erde und manch anderes ward verſchüt¬ tet; unter der Thüre ſahen ſie den alten Ritter, die rothen Augenbraunen, flatternd im Nachtwinde. Als ſie wieder kaltblütiger wurden, ſahen ſie keinen Ritter mehr, aber den Poſtillion der zurückgebliebenen Poſt, welcher von ſeinen Pferden her in die Stube kam im Stiefeltritt, mit rothe Augenbraunen flatternd im Geſicht.

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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/141>, abgerufen am 22.11.2024.