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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

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dige Intention dankbar zu erweisen. Der
Hofmann schwieg und verschwieg. Der andre
suchte sich durch einige wohltönende Compli¬
mente aus der Sache zu ziehen. Sie ließ
ihre Absicht nicht undeutlich merken, auch et¬
was eigens für sie gedichtetes zu besitzen.
Wenn es nicht allzu unfreundlich gewesen
wäre, so hätte er ihr das Alphabet überrei¬
chen können, um sich daraus ein beliebiges
Lobgedicht zu irgend einer vorkommenden Me¬
lodie selbst einzubilden. Doch sollte sie nicht
ohne Kränkung aus dieser Begebenheit schei¬
den. Kurze Zeit darauf erfuhr sie: er habe
noch selbigen Abend einer von Ottiliens Lieb¬
lingsmelodieen ein allerliebstes Gedicht unter¬
gelegt, das noch mehr als verbindlich sey.

Luciane, wie alle Menschen ihrer Art,
die immer durcheinander mischen was ihnen
vortheilhaft und was ihnen nachtheilig ist,
wollte nun ihr Glück im Recitiren versuchen.
Ihr Gedächtniß war gut, aber wenn man

dige Intention dankbar zu erweiſen. Der
Hofmann ſchwieg und verſchwieg. Der andre
ſuchte ſich durch einige wohltoͤnende Compli¬
mente aus der Sache zu ziehen. Sie ließ
ihre Abſicht nicht undeutlich merken, auch et¬
was eigens fuͤr ſie gedichtetes zu beſitzen.
Wenn es nicht allzu unfreundlich geweſen
waͤre, ſo haͤtte er ihr das Alphabet uͤberrei¬
chen koͤnnen, um ſich daraus ein beliebiges
Lobgedicht zu irgend einer vorkommenden Me¬
lodie ſelbſt einzubilden. Doch ſollte ſie nicht
ohne Kraͤnkung aus dieſer Begebenheit ſchei¬
den. Kurze Zeit darauf erfuhr ſie: er habe
noch ſelbigen Abend einer von Ottiliens Lieb¬
lingsmelodieen ein allerliebſtes Gedicht unter¬
gelegt, das noch mehr als verbindlich ſey.

Luciane, wie alle Menſchen ihrer Art,
die immer durcheinander miſchen was ihnen
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[85/0088] dige Intention dankbar zu erweiſen. Der Hofmann ſchwieg und verſchwieg. Der andre ſuchte ſich durch einige wohltoͤnende Compli¬ mente aus der Sache zu ziehen. Sie ließ ihre Abſicht nicht undeutlich merken, auch et¬ was eigens fuͤr ſie gedichtetes zu beſitzen. Wenn es nicht allzu unfreundlich geweſen waͤre, ſo haͤtte er ihr das Alphabet uͤberrei¬ chen koͤnnen, um ſich daraus ein beliebiges Lobgedicht zu irgend einer vorkommenden Me¬ lodie ſelbſt einzubilden. Doch ſollte ſie nicht ohne Kraͤnkung aus dieſer Begebenheit ſchei¬ den. Kurze Zeit darauf erfuhr ſie: er habe noch ſelbigen Abend einer von Ottiliens Lieb¬ lingsmelodieen ein allerliebſtes Gedicht unter¬ gelegt, das noch mehr als verbindlich ſey. Luciane, wie alle Menſchen ihrer Art, die immer durcheinander miſchen was ihnen vortheilhaft und was ihnen nachtheilig iſt, wollte nun ihr Gluͤck im Recitiren verſuchen. Ihr Gedaͤchtniß war gut, aber wenn man

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/88>, abgerufen am 22.11.2024.