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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

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aufrichtig reden sollte, ihr Vortrag geistlos
und heftig ohne leidenschaftlich zu seyn. Sie
recitirte Balladen, Erzählungen und was
sonst in Declamatorien vorzukommen pflegt.
Dabey hatte sie die unglückliche Gewohnheit
angenommen, das was sie vortrug mit Gesten
zu begleiten, wodurch man das was eigent¬
lich episch und lyrisch ist, auf eine unange¬
nehme Weise mit dem Dramatischen mehr ver¬
wirrt als verbindet.

Der Graf, ein einsichtsvoller Mann, der
gar bald die Gesellschaft, ihre Neigungen,
Leidenschaften und Unterhaltungen übersah,
brachte Lucianen, glücklicher oder unglücklicher
Weise, auf eine neue Art von Darstellung,
die ihrer Persönlichkeit sehr gemäß war. Ich
finde, sagte er, hier so manche wohlgestaltete
Personen, denen es gewiß nicht fehlt, male¬
rische Bewegungen und Stellungen nachzuah¬
men. Sollten sie es noch nicht versucht ha¬
ben, wirkliche bekannte Gemälde vorzustellen?

aufrichtig reden ſollte, ihr Vortrag geiſtlos
und heftig ohne leidenſchaftlich zu ſeyn. Sie
recitirte Balladen, Erzaͤhlungen und was
ſonſt in Declamatorien vorzukommen pflegt.
Dabey hatte ſie die ungluͤckliche Gewohnheit
angenommen, das was ſie vortrug mit Geſten
zu begleiten, wodurch man das was eigent¬
lich epiſch und lyriſch iſt, auf eine unange¬
nehme Weiſe mit dem Dramatiſchen mehr ver¬
wirrt als verbindet.

Der Graf, ein einſichtsvoller Mann, der
gar bald die Geſellſchaft, ihre Neigungen,
Leidenſchaften und Unterhaltungen uͤberſah,
brachte Lucianen, gluͤcklicher oder ungluͤcklicher
Weiſe, auf eine neue Art von Darſtellung,
die ihrer Perſoͤnlichkeit ſehr gemaͤß war. Ich
finde, ſagte er, hier ſo manche wohlgeſtaltete
Perſonen, denen es gewiß nicht fehlt, male¬
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[86/0089] aufrichtig reden ſollte, ihr Vortrag geiſtlos und heftig ohne leidenſchaftlich zu ſeyn. Sie recitirte Balladen, Erzaͤhlungen und was ſonſt in Declamatorien vorzukommen pflegt. Dabey hatte ſie die ungluͤckliche Gewohnheit angenommen, das was ſie vortrug mit Geſten zu begleiten, wodurch man das was eigent¬ lich epiſch und lyriſch iſt, auf eine unange¬ nehme Weiſe mit dem Dramatiſchen mehr ver¬ wirrt als verbindet. Der Graf, ein einſichtsvoller Mann, der gar bald die Geſellſchaft, ihre Neigungen, Leidenſchaften und Unterhaltungen uͤberſah, brachte Lucianen, gluͤcklicher oder ungluͤcklicher Weiſe, auf eine neue Art von Darſtellung, die ihrer Perſoͤnlichkeit ſehr gemaͤß war. Ich finde, ſagte er, hier ſo manche wohlgeſtaltete Perſonen, denen es gewiß nicht fehlt, male¬ riſche Bewegungen und Stellungen nachzuah¬ men. Sollten ſie es noch nicht verſucht ha¬ ben, wirkliche bekannte Gemaͤlde vorzuſtellen?

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/89>, abgerufen am 22.11.2024.