Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

forderte, jene Artemisia zu geben, welche sie
so vortrefflich einstudirt habe. Sie ließ sich
erbitten, und nach einer kurzen Abwesenheit
erschien sie, bey den zärtlich traurigen Tönen
des Todtenmarsches, in Gestalt der königlichen
Wittwe, mit gemessenem Schritt, einen
Aschenkrug vor sich hertragend. Hinter ihr
brachte man eine große schwarze Tafel und
in einer goldenen Reißfeder ein wohl zuge¬
schnitztes Stück Kreide.

Einer ihrer Verehrer und Adjutanten,
dem sie etwas ins Ohr sagte, ging sogleich
den Architecten aufzufordern, zu nöthigen und
gewissermaßen herbeyzuschieben, daß er als
Baumeister das Grab des Mausolus zeich¬
nen, und also keineswegs einen Statisten,
sondern einen ernstlich Mitspielenden vorstellen
sollte. Wie verlegen der Architect auch äu¬
ßerlich erschien -- denn er machte in seiner
ganz schwarzen knappen modernen Civilge¬
stalt einen wunderlichen Contrast mit jenen

forderte, jene Artemiſia zu geben, welche ſie
ſo vortrefflich einſtudirt habe. Sie ließ ſich
erbitten, und nach einer kurzen Abweſenheit
erſchien ſie, bey den zaͤrtlich traurigen Toͤnen
des Todtenmarſches, in Geſtalt der koͤniglichen
Wittwe, mit gemeſſenem Schritt, einen
Aſchenkrug vor ſich hertragend. Hinter ihr
brachte man eine große ſchwarze Tafel und
in einer goldenen Reißfeder ein wohl zuge¬
ſchnitztes Stuͤck Kreide.

Einer ihrer Verehrer und Adjutanten,
dem ſie etwas ins Ohr ſagte, ging ſogleich
den Architecten aufzufordern, zu noͤthigen und
gewiſſermaßen herbeyzuſchieben, daß er als
Baumeiſter das Grab des Mauſolus zeich¬
nen, und alſo keineswegs einen Statiſten,
ſondern einen ernſtlich Mitſpielenden vorſtellen
ſollte. Wie verlegen der Architect auch aͤu¬
ßerlich erſchien — denn er machte in ſeiner
ganz ſchwarzen knappen modernen Civilge¬
ſtalt einen wunderlichen Contraſt mit jenen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0059" n="56"/>
forderte, jene Artemi&#x017F;ia zu geben, welche &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;o vortrefflich ein&#x017F;tudirt habe. Sie ließ &#x017F;ich<lb/>
erbitten, und nach einer kurzen Abwe&#x017F;enheit<lb/>
er&#x017F;chien &#x017F;ie, bey den za&#x0364;rtlich traurigen To&#x0364;nen<lb/>
des Todtenmar&#x017F;ches, in Ge&#x017F;talt der ko&#x0364;niglichen<lb/>
Wittwe, mit geme&#x017F;&#x017F;enem Schritt, einen<lb/>
A&#x017F;chenkrug vor &#x017F;ich hertragend. Hinter ihr<lb/>
brachte man eine große &#x017F;chwarze Tafel und<lb/>
in einer goldenen Reißfeder ein wohl zuge¬<lb/>
&#x017F;chnitztes Stu&#x0364;ck Kreide.</p><lb/>
        <p>Einer ihrer Verehrer und Adjutanten,<lb/>
dem &#x017F;ie etwas ins Ohr &#x017F;agte, ging &#x017F;ogleich<lb/>
den Architecten aufzufordern, zu no&#x0364;thigen und<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen herbeyzu&#x017F;chieben, daß er als<lb/>
Baumei&#x017F;ter das Grab des Mau&#x017F;olus zeich¬<lb/>
nen, und al&#x017F;o keineswegs einen Stati&#x017F;ten,<lb/>
&#x017F;ondern einen ern&#x017F;tlich Mit&#x017F;pielenden vor&#x017F;tellen<lb/>
&#x017F;ollte. Wie verlegen der Architect auch a&#x0364;<lb/>
ßerlich er&#x017F;chien &#x2014; denn er machte in &#x017F;einer<lb/>
ganz &#x017F;chwarzen knappen modernen Civilge¬<lb/>
&#x017F;talt einen wunderlichen Contra&#x017F;t mit jenen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[56/0059] forderte, jene Artemiſia zu geben, welche ſie ſo vortrefflich einſtudirt habe. Sie ließ ſich erbitten, und nach einer kurzen Abweſenheit erſchien ſie, bey den zaͤrtlich traurigen Toͤnen des Todtenmarſches, in Geſtalt der koͤniglichen Wittwe, mit gemeſſenem Schritt, einen Aſchenkrug vor ſich hertragend. Hinter ihr brachte man eine große ſchwarze Tafel und in einer goldenen Reißfeder ein wohl zuge¬ ſchnitztes Stuͤck Kreide. Einer ihrer Verehrer und Adjutanten, dem ſie etwas ins Ohr ſagte, ging ſogleich den Architecten aufzufordern, zu noͤthigen und gewiſſermaßen herbeyzuſchieben, daß er als Baumeiſter das Grab des Mauſolus zeich¬ nen, und alſo keineswegs einen Statiſten, ſondern einen ernſtlich Mitſpielenden vorſtellen ſollte. Wie verlegen der Architect auch aͤu¬ ßerlich erſchien — denn er machte in ſeiner ganz ſchwarzen knappen modernen Civilge¬ ſtalt einen wunderlichen Contraſt mit jenen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/59
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/59>, abgerufen am 02.05.2024.