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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

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Kisten; man glaubte schon eine doppelte und
dreyfache Herrschaft im Hause zu haben;
aber nun erschienen erst die Gäste selbst: Die
Großtante mit Lucianen und einigen Freun¬
dinnen, der Bräutigam gleichfalls nicht unbe¬
gleitet. Da lag das Vorhaus voll Vachen,
Mantelsäcke und anderer ledernen Gehäuse.
Mit Mühe sonderte man die vielen Kästchen
und Futterale auseinander. Des Gepäckes
und Geschleppes war kein Ende. Dazwischen
regnete es mit Gewalt, woraus manche Un¬
bequemlichkeit entstand. Diesem ungestümen
Treiben begegnete Ottilie mit gleichmüthiger
Thätigkeit, ja ihr heiteres Geschick erschien
im schönsten Glanze: denn sie hatte in kurzer
Zeit alles untergebracht und angeordnet. Je¬
dermann war logirt, Jedermann nach seiner
Art bequem, und glaubte gut bedient zu seyn,
weil er nicht gehindert war sich selbst zu be¬
dienen.

Nun hätten alle gern, nach einer höchst
beschwerlichen Reise, einige Ruhe genossen;

II. 4

Kiſten; man glaubte ſchon eine doppelte und
dreyfache Herrſchaft im Hauſe zu haben;
aber nun erſchienen erſt die Gaͤſte ſelbſt: Die
Großtante mit Lucianen und einigen Freun¬
dinnen, der Braͤutigam gleichfalls nicht unbe¬
gleitet. Da lag das Vorhaus voll Vachen,
Mantelſaͤcke und anderer ledernen Gehaͤuſe.
Mit Muͤhe ſonderte man die vielen Kaͤſtchen
und Futterale auseinander. Des Gepaͤckes
und Geſchleppes war kein Ende. Dazwiſchen
regnete es mit Gewalt, woraus manche Un¬
bequemlichkeit entſtand. Dieſem ungeſtuͤmen
Treiben begegnete Ottilie mit gleichmuͤthiger
Thaͤtigkeit, ja ihr heiteres Geſchick erſchien
im ſchoͤnſten Glanze: denn ſie hatte in kurzer
Zeit alles untergebracht und angeordnet. Je¬
dermann war logirt, Jedermann nach ſeiner
Art bequem, und glaubte gut bedient zu ſeyn,
weil er nicht gehindert war ſich ſelbſt zu be¬
dienen.

Nun haͤtten alle gern, nach einer hoͤchſt
beſchwerlichen Reiſe, einige Ruhe genoſſen;

II. 4
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[49/0052] Kiſten; man glaubte ſchon eine doppelte und dreyfache Herrſchaft im Hauſe zu haben; aber nun erſchienen erſt die Gaͤſte ſelbſt: Die Großtante mit Lucianen und einigen Freun¬ dinnen, der Braͤutigam gleichfalls nicht unbe¬ gleitet. Da lag das Vorhaus voll Vachen, Mantelſaͤcke und anderer ledernen Gehaͤuſe. Mit Muͤhe ſonderte man die vielen Kaͤſtchen und Futterale auseinander. Des Gepaͤckes und Geſchleppes war kein Ende. Dazwiſchen regnete es mit Gewalt, woraus manche Un¬ bequemlichkeit entſtand. Dieſem ungeſtuͤmen Treiben begegnete Ottilie mit gleichmuͤthiger Thaͤtigkeit, ja ihr heiteres Geſchick erſchien im ſchoͤnſten Glanze: denn ſie hatte in kurzer Zeit alles untergebracht und angeordnet. Je¬ dermann war logirt, Jedermann nach ſeiner Art bequem, und glaubte gut bedient zu ſeyn, weil er nicht gehindert war ſich ſelbſt zu be¬ dienen. Nun haͤtten alle gern, nach einer hoͤchſt beſchwerlichen Reiſe, einige Ruhe genoſſen; II. 4

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/52>, abgerufen am 02.05.2024.