Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

der Bräutigam hätte sich seiner Schwieger¬
mutter gern genähert, um ihr seine Liebe, sei¬
nen guten Willen zu betheuern: aber Luciane
konnte nicht rasten. Sie war nun einmal zu
dem Glücke gelangt, ein Pferd besteigen zu
dürfen. Der Bräutigam hatte schöne Pferde,
und sogleich mußte man aufsitzen. Wetter
und Wind, Regen und Sturm kamen nicht
in Anschlag; es war als wenn man nur
lebte um naß zu werden und sich wieder zu
trocknen. Fiel es ihr ein, zu Fuße auszu¬
gehen, so fragte sie nicht, was für Kleider
sie anhatte und wie sie beschuht war; sie
mußte die Anlagen besichtigen von denen sie
vieles gehört hatte. Was nicht zu Pferde
geschehen konnte, wurde zu Fuß durchrannt.
Bald hatte sie alles gesehen und abgeurtheilt.
Bey der Schnelligkeit ihres Wesens war ihr
nicht leicht zu widersprechen. Die Gesellschaft
hatte manches zu leiden, am meisten aber die
Kammermädchen, die mit Waschen und Bü¬

der Braͤutigam haͤtte ſich ſeiner Schwieger¬
mutter gern genaͤhert, um ihr ſeine Liebe, ſei¬
nen guten Willen zu betheuern: aber Luciane
konnte nicht raſten. Sie war nun einmal zu
dem Gluͤcke gelangt, ein Pferd beſteigen zu
duͤrfen. Der Braͤutigam hatte ſchoͤne Pferde,
und ſogleich mußte man aufſitzen. Wetter
und Wind, Regen und Sturm kamen nicht
in Anſchlag; es war als wenn man nur
lebte um naß zu werden und ſich wieder zu
trocknen. Fiel es ihr ein, zu Fuße auszu¬
gehen, ſo fragte ſie nicht, was fuͤr Kleider
ſie anhatte und wie ſie beſchuht war; ſie
mußte die Anlagen beſichtigen von denen ſie
vieles gehoͤrt hatte. Was nicht zu Pferde
geſchehen konnte, wurde zu Fuß durchrannt.
Bald hatte ſie alles geſehen und abgeurtheilt.
Bey der Schnelligkeit ihres Weſens war ihr
nicht leicht zu widerſprechen. Die Geſellſchaft
hatte manches zu leiden, am meiſten aber die
Kammermaͤdchen, die mit Waſchen und Buͤ¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0053" n="50"/>
der Bra&#x0364;utigam ha&#x0364;tte &#x017F;ich &#x017F;einer Schwieger¬<lb/>
mutter gern gena&#x0364;hert, um ihr &#x017F;eine Liebe, &#x017F;ei¬<lb/>
nen guten Willen zu betheuern: aber Luciane<lb/>
konnte nicht ra&#x017F;ten. Sie war nun einmal zu<lb/>
dem Glu&#x0364;cke gelangt, ein Pferd be&#x017F;teigen zu<lb/>
du&#x0364;rfen. Der Bra&#x0364;utigam hatte &#x017F;cho&#x0364;ne Pferde,<lb/>
und &#x017F;ogleich mußte man auf&#x017F;itzen. Wetter<lb/>
und Wind, Regen und Sturm kamen nicht<lb/>
in An&#x017F;chlag; es war als wenn man nur<lb/>
lebte um naß zu werden und &#x017F;ich wieder zu<lb/>
trocknen. Fiel es ihr ein, zu Fuße auszu¬<lb/>
gehen, &#x017F;o fragte &#x017F;ie nicht, was fu&#x0364;r Kleider<lb/>
&#x017F;ie anhatte und wie &#x017F;ie be&#x017F;chuht war; &#x017F;ie<lb/>
mußte die Anlagen be&#x017F;ichtigen von denen &#x017F;ie<lb/>
vieles geho&#x0364;rt hatte. Was nicht zu Pferde<lb/>
ge&#x017F;chehen konnte, wurde zu Fuß durchrannt.<lb/>
Bald hatte &#x017F;ie alles ge&#x017F;ehen und abgeurtheilt.<lb/>
Bey der Schnelligkeit ihres We&#x017F;ens war ihr<lb/>
nicht leicht zu wider&#x017F;prechen. Die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft<lb/>
hatte manches zu leiden, am mei&#x017F;ten aber die<lb/>
Kammerma&#x0364;dchen, die mit Wa&#x017F;chen und Bu&#x0364;¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[50/0053] der Braͤutigam haͤtte ſich ſeiner Schwieger¬ mutter gern genaͤhert, um ihr ſeine Liebe, ſei¬ nen guten Willen zu betheuern: aber Luciane konnte nicht raſten. Sie war nun einmal zu dem Gluͤcke gelangt, ein Pferd beſteigen zu duͤrfen. Der Braͤutigam hatte ſchoͤne Pferde, und ſogleich mußte man aufſitzen. Wetter und Wind, Regen und Sturm kamen nicht in Anſchlag; es war als wenn man nur lebte um naß zu werden und ſich wieder zu trocknen. Fiel es ihr ein, zu Fuße auszu¬ gehen, ſo fragte ſie nicht, was fuͤr Kleider ſie anhatte und wie ſie beſchuht war; ſie mußte die Anlagen beſichtigen von denen ſie vieles gehoͤrt hatte. Was nicht zu Pferde geſchehen konnte, wurde zu Fuß durchrannt. Bald hatte ſie alles geſehen und abgeurtheilt. Bey der Schnelligkeit ihres Weſens war ihr nicht leicht zu widerſprechen. Die Geſellſchaft hatte manches zu leiden, am meiſten aber die Kammermaͤdchen, die mit Waſchen und Buͤ¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/53
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/53>, abgerufen am 25.11.2024.