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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

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danken, und mochte sie hin und wieder legen
wie sie wollte, so konnte sie doch bey keiner
Ansicht Beruhigung finden.

Ottilie, von alle dem nichts ahndend,
hatte indessen zu jener Arbeit die größte Nei¬
gung gefaßt, und von Charlotten gar leicht
die Erlaubniß erhalten, regelmäßig darin
fortfahren zu dürfen. Nun ging es rasch
weiter und der azurne Himmel war bald mit
würdigen Bewohnern bevölkert. Durch eine
anhaltende Uebung gewannen Ottilie und der
Architect bey den letzten Bildern mehr Frey¬
heit, sie wurden zusehends besser. Auch
die Gesichter, welche dem Architecten zu ma¬
len allein überlassen war, zeigten nach und
nach eine ganz besondere Eigenschaft: sie fin¬
gen sämmtlich an Ottilien zu gleichen. Die
Nähe des schönen Kindes mußte wohl in die
Seele des jungen Mannes, der noch keine
natürliche oder künstlerische Physiognomie vor¬
gefaßt hatte, einen so lebhaften Eindruck

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danken, und mochte ſie hin und wieder legen
wie ſie wollte, ſo konnte ſie doch bey keiner
Anſicht Beruhigung finden.

Ottilie, von alle dem nichts ahndend,
hatte indeſſen zu jener Arbeit die groͤßte Nei¬
gung gefaßt, und von Charlotten gar leicht
die Erlaubniß erhalten, regelmaͤßig darin
fortfahren zu duͤrfen. Nun ging es raſch
weiter und der azurne Himmel war bald mit
wuͤrdigen Bewohnern bevoͤlkert. Durch eine
anhaltende Uebung gewannen Ottilie und der
Architect bey den letzten Bildern mehr Frey¬
heit, ſie wurden zuſehends beſſer. Auch
die Geſichter, welche dem Architecten zu ma¬
len allein uͤberlaſſen war, zeigten nach und
nach eine ganz beſondere Eigenſchaft: ſie fin¬
gen ſaͤmmtlich an Ottilien zu gleichen. Die
Naͤhe des ſchoͤnen Kindes mußte wohl in die
Seele des jungen Mannes, der noch keine
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gefaßt hatte, einen ſo lebhaften Eindruck

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[35/0038] danken, und mochte ſie hin und wieder legen wie ſie wollte, ſo konnte ſie doch bey keiner Anſicht Beruhigung finden. Ottilie, von alle dem nichts ahndend, hatte indeſſen zu jener Arbeit die groͤßte Nei¬ gung gefaßt, und von Charlotten gar leicht die Erlaubniß erhalten, regelmaͤßig darin fortfahren zu duͤrfen. Nun ging es raſch weiter und der azurne Himmel war bald mit wuͤrdigen Bewohnern bevoͤlkert. Durch eine anhaltende Uebung gewannen Ottilie und der Architect bey den letzten Bildern mehr Frey¬ heit, ſie wurden zuſehends beſſer. Auch die Geſichter, welche dem Architecten zu ma¬ len allein uͤberlaſſen war, zeigten nach und nach eine ganz beſondere Eigenſchaft: ſie fin¬ gen ſaͤmmtlich an Ottilien zu gleichen. Die Naͤhe des ſchoͤnen Kindes mußte wohl in die Seele des jungen Mannes, der noch keine natuͤrliche oder kuͤnſtleriſche Phyſiognomie vor¬ gefaßt hatte, einen ſo lebhaften Eindruck 3 *

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/38>, abgerufen am 29.03.2024.