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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

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seines Lebens für immer verloren habe. Man
wagte es ihm vorzustellen, daß Ottilie in jener
Capelle beygesetzt, noch immer unter den Le¬
bendigen bleiben und einer freundlichen stillen
Wohnung nicht entbehren würde. Es fiel
schwer seine Einwilligung zu erhalten, und
nur unter der Bedingung, daß sie im offenen
Sarge hinausgetragen, und in dem Gewölbe
allenfalls nur mit einem Glasdeckel zugedeckt
und eine immerbrennende Lampe gestiftet wer¬
den sollte, ließ er sichs zuletzt gefallen und
schien sich in alles ergeben zu haben.

Man kleidete den holden Körper in jenen
Schmuck den sie sich selbst vorbereitet hatte;
man setzte ihr einen Kranz von Asterblumen
auf das Haupt, die wie traurige Gestirne
ahndungsvoll glänzten. Die Baare, die Kir¬
che, die Capelle zu schmücken, wurden alle
Gärten ihres Schmucks beraubt. Sie lagen
verödet als wenn bereits der Winter alle
Freude aus den Beeten weggetilgt hätte.

ſeines Lebens fuͤr immer verloren habe. Man
wagte es ihm vorzuſtellen, daß Ottilie in jener
Capelle beygeſetzt, noch immer unter den Le¬
bendigen bleiben und einer freundlichen ſtillen
Wohnung nicht entbehren wuͤrde. Es fiel
ſchwer ſeine Einwilligung zu erhalten, und
nur unter der Bedingung, daß ſie im offenen
Sarge hinausgetragen, und in dem Gewoͤlbe
allenfalls nur mit einem Glasdeckel zugedeckt
und eine immerbrennende Lampe geſtiftet wer¬
den ſollte, ließ er ſichs zuletzt gefallen und
ſchien ſich in alles ergeben zu haben.

Man kleidete den holden Koͤrper in jenen
Schmuck den ſie ſich ſelbſt vorbereitet hatte;
man ſetzte ihr einen Kranz von Aſterblumen
auf das Haupt, die wie traurige Geſtirne
ahndungsvoll glaͤnzten. Die Baare, die Kir¬
che, die Capelle zu ſchmuͤcken, wurden alle
Gaͤrten ihres Schmucks beraubt. Sie lagen
veroͤdet als wenn bereits der Winter alle
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[326/0329] ſeines Lebens fuͤr immer verloren habe. Man wagte es ihm vorzuſtellen, daß Ottilie in jener Capelle beygeſetzt, noch immer unter den Le¬ bendigen bleiben und einer freundlichen ſtillen Wohnung nicht entbehren wuͤrde. Es fiel ſchwer ſeine Einwilligung zu erhalten, und nur unter der Bedingung, daß ſie im offenen Sarge hinausgetragen, und in dem Gewoͤlbe allenfalls nur mit einem Glasdeckel zugedeckt und eine immerbrennende Lampe geſtiftet wer¬ den ſollte, ließ er ſichs zuletzt gefallen und ſchien ſich in alles ergeben zu haben. Man kleidete den holden Koͤrper in jenen Schmuck den ſie ſich ſelbſt vorbereitet hatte; man ſetzte ihr einen Kranz von Aſterblumen auf das Haupt, die wie traurige Geſtirne ahndungsvoll glaͤnzten. Die Baare, die Kir¬ che, die Capelle zu ſchmuͤcken, wurden alle Gaͤrten ihres Schmucks beraubt. Sie lagen veroͤdet als wenn bereits der Winter alle Freude aus den Beeten weggetilgt haͤtte.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/329>, abgerufen am 22.11.2024.