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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

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worin es ihm allein bequem und behaglich
ist. Und so finden wir die Menschen, über
deren Veränderlichkeit so viele Klage geführt
wird, nach vielen Jahren zu unserm Erstau¬
nen unverändert, und nach äußern und in¬
nern unendlichen Anregungen unveränderlich.

So bewegte sich auch in dem täglichen
Zusammenleben unserer Freunde fast alles wie¬
der in dem alten Gleise. Noch immer äußer¬
te Ottilie stillschweigend durch manche Gefäl¬
ligkeit ihr zuvorkommendes Wesen; und so
jedes nach seiner Art. Auf diese Weise zeig¬
te sich der häusliche Zirkel als ein Scheinbild
des vorigen Lebens, und der Wahn, als ob
noch alles beym alten sey, war verzeihlich.

Die herbstlichen Tage, an Länge jenen
Frühlingstagen gleich, riefen die Gesellschaft
um eben die Stunde aus dem Freyen ins
Haus zurück. Der Schmuck an Früchten und
Blumen, der dieser Zeit eigen ist, ließ glau¬

worin es ihm allein bequem und behaglich
iſt. Und ſo finden wir die Menſchen, uͤber
deren Veraͤnderlichkeit ſo viele Klage gefuͤhrt
wird, nach vielen Jahren zu unſerm Erſtau¬
nen unveraͤndert, und nach aͤußern und in¬
nern unendlichen Anregungen unveraͤnderlich.

So bewegte ſich auch in dem taͤglichen
Zuſammenleben unſerer Freunde faſt alles wie¬
der in dem alten Gleiſe. Noch immer aͤußer¬
te Ottilie ſtillſchweigend durch manche Gefaͤl¬
ligkeit ihr zuvorkommendes Weſen; und ſo
jedes nach ſeiner Art. Auf dieſe Weiſe zeig¬
te ſich der haͤusliche Zirkel als ein Scheinbild
des vorigen Lebens, und der Wahn, als ob
noch alles beym alten ſey, war verzeihlich.

Die herbſtlichen Tage, an Laͤnge jenen
Fruͤhlingstagen gleich, riefen die Geſellſchaft
um eben die Stunde aus dem Freyen ins
Haus zuruͤck. Der Schmuck an Fruͤchten und
Blumen, der dieſer Zeit eigen iſt, ließ glau¬

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[310/0313] worin es ihm allein bequem und behaglich iſt. Und ſo finden wir die Menſchen, uͤber deren Veraͤnderlichkeit ſo viele Klage gefuͤhrt wird, nach vielen Jahren zu unſerm Erſtau¬ nen unveraͤndert, und nach aͤußern und in¬ nern unendlichen Anregungen unveraͤnderlich. So bewegte ſich auch in dem taͤglichen Zuſammenleben unſerer Freunde faſt alles wie¬ der in dem alten Gleiſe. Noch immer aͤußer¬ te Ottilie ſtillſchweigend durch manche Gefaͤl¬ ligkeit ihr zuvorkommendes Weſen; und ſo jedes nach ſeiner Art. Auf dieſe Weiſe zeig¬ te ſich der haͤusliche Zirkel als ein Scheinbild des vorigen Lebens, und der Wahn, als ob noch alles beym alten ſey, war verzeihlich. Die herbſtlichen Tage, an Laͤnge jenen Fruͤhlingstagen gleich, riefen die Geſellſchaft um eben die Stunde aus dem Freyen ins Haus zuruͤck. Der Schmuck an Fruͤchten und Blumen, der dieſer Zeit eigen iſt, ließ glau¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/313>, abgerufen am 07.05.2024.