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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

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was nur halb verstehen, öfters wurde aber
doch ein Ausdruck, wo nicht durch den Ver¬
stand wenigstens durch die Empfindung, mi߬
deutet. Man fürchtete sich zu verletzen, und
gerade die Furcht war am ersten verletzbar
und verletzte am ersten.

Wollte man den Ort verändern und sich
zugleich, wenigstens auf einige Zeit, von ein¬
ander trennen; so trat die alte Frage wieder
hervor: wo sich Ottilie hinbegeben solle? Je¬
nes große reiche Haus hatte vergebliche Ver¬
suche gemacht, einer hoffnungsvollen Erbtoch¬
ter unterhaltende und wetteifernde Gespielin¬
nen zu verschaffen. Schon bey der letzten
Anwesenheit der Baronesse, und neuerlich durch
Briefe, war Charlotte aufgefordert worden,
Ottilien dorthin zu senden; jetzt brachte sie es
abermals zur Sprache. Ottilie verweigerte
aber ausdrücklich dahin zu gehen, wo sie das¬
jenige finden würde, was man große Welt
zu nennen pflegt.

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was nur halb verſtehen, oͤfters wurde aber
doch ein Ausdruck, wo nicht durch den Ver¬
ſtand wenigſtens durch die Empfindung, mi߬
deutet. Man fuͤrchtete ſich zu verletzen, und
gerade die Furcht war am erſten verletzbar
und verletzte am erſten.

Wollte man den Ort veraͤndern und ſich
zugleich, wenigſtens auf einige Zeit, von ein¬
ander trennen; ſo trat die alte Frage wieder
hervor: wo ſich Ottilie hinbegeben ſolle? Je¬
nes große reiche Haus hatte vergebliche Ver¬
ſuche gemacht, einer hoffnungsvollen Erbtoch¬
ter unterhaltende und wetteifernde Geſpielin¬
nen zu verſchaffen. Schon bey der letzten
Anweſenheit der Baroneſſe, und neuerlich durch
Briefe, war Charlotte aufgefordert worden,
Ottilien dorthin zu ſenden; jetzt brachte ſie es
abermals zur Sprache. Ottilie verweigerte
aber ausdruͤcklich dahin zu gehen, wo ſie das¬
jenige finden wuͤrde, was man große Welt
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18 *
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[275/0278] was nur halb verſtehen, oͤfters wurde aber doch ein Ausdruck, wo nicht durch den Ver¬ ſtand wenigſtens durch die Empfindung, mi߬ deutet. Man fuͤrchtete ſich zu verletzen, und gerade die Furcht war am erſten verletzbar und verletzte am erſten. Wollte man den Ort veraͤndern und ſich zugleich, wenigſtens auf einige Zeit, von ein¬ ander trennen; ſo trat die alte Frage wieder hervor: wo ſich Ottilie hinbegeben ſolle? Je¬ nes große reiche Haus hatte vergebliche Ver¬ ſuche gemacht, einer hoffnungsvollen Erbtoch¬ ter unterhaltende und wetteifernde Geſpielin¬ nen zu verſchaffen. Schon bey der letzten Anweſenheit der Baroneſſe, und neuerlich durch Briefe, war Charlotte aufgefordert worden, Ottilien dorthin zu ſenden; jetzt brachte ſie es abermals zur Sprache. Ottilie verweigerte aber ausdruͤcklich dahin zu gehen, wo ſie das¬ jenige finden wuͤrde, was man große Welt zu nennen pflegt. 18 *

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/278>, abgerufen am 17.05.2024.