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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

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mehr über sich selbst; sie hatte sich in der
Tiefe ihres Herzens nur unter der Bedingung
des völligen Entsagens verziehen, und diese
Bedingung war für alle Zukunft unerläßlich.

So verfloß einige Zeit, und Charlotte fühl¬
te, wie sehr Haus und Park, Seen, Felsen-
und Baumgruppen, nur traurige Empfindun¬
gen täglich in ihnen beyden erneuerten. Daß
man den Ort verändern müsse, war allzu
deutlich; wie es geschehen solle, nicht so leicht
zu entscheiden.

Sollten die beyden Frauen zusammenblei¬
ben? Eduards früherer Wille schien es zu ge¬
bieten, seine Erklärung, seine Drohung es
nöthig zu machen: allein wie war es zu ver¬
kennen, daß beyde Frauen, mit allem guten
Willen, mit aller Vernunft, mit aller Anstren¬
gung, sich in einer peinlichen Lage neben ein¬
ander befanden. Ihre Unterhaltungen waren
vermeidend. Manchmal mochte man gern et¬

mehr uͤber ſich ſelbſt; ſie hatte ſich in der
Tiefe ihres Herzens nur unter der Bedingung
des voͤlligen Entſagens verziehen, und dieſe
Bedingung war fuͤr alle Zukunft unerlaͤßlich.

So verfloß einige Zeit, und Charlotte fuͤhl¬
te, wie ſehr Haus und Park, Seen, Felſen-
und Baumgruppen, nur traurige Empfindun¬
gen taͤglich in ihnen beyden erneuerten. Daß
man den Ort veraͤndern muͤſſe, war allzu
deutlich; wie es geſchehen ſolle, nicht ſo leicht
zu entſcheiden.

Sollten die beyden Frauen zuſammenblei¬
ben? Eduards fruͤherer Wille ſchien es zu ge¬
bieten, ſeine Erklaͤrung, ſeine Drohung es
noͤthig zu machen: allein wie war es zu ver¬
kennen, daß beyde Frauen, mit allem guten
Willen, mit aller Vernunft, mit aller Anſtren¬
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[274/0277] mehr uͤber ſich ſelbſt; ſie hatte ſich in der Tiefe ihres Herzens nur unter der Bedingung des voͤlligen Entſagens verziehen, und dieſe Bedingung war fuͤr alle Zukunft unerlaͤßlich. So verfloß einige Zeit, und Charlotte fuͤhl¬ te, wie ſehr Haus und Park, Seen, Felſen- und Baumgruppen, nur traurige Empfindun¬ gen taͤglich in ihnen beyden erneuerten. Daß man den Ort veraͤndern muͤſſe, war allzu deutlich; wie es geſchehen ſolle, nicht ſo leicht zu entſcheiden. Sollten die beyden Frauen zuſammenblei¬ ben? Eduards fruͤherer Wille ſchien es zu ge¬ bieten, ſeine Erklaͤrung, ſeine Drohung es noͤthig zu machen: allein wie war es zu ver¬ kennen, daß beyde Frauen, mit allem guten Willen, mit aller Vernunft, mit aller Anſtren¬ gung, ſich in einer peinlichen Lage neben ein¬ ander befanden. Ihre Unterhaltungen waren vermeidend. Manchmal mochte man gern et¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/277>, abgerufen am 17.05.2024.