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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

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Besuch genauer kennen gelernt. Sie hatte
sich ihm genähert, ja sie ward von ihm an¬
gezogen, weil sie durch sein gehaltvolles Ge¬
spräch dasjenige zu sehen und zu kennen glaub¬
te, was ihr bisher ganz unbekannt geblieben
war. Und wie sie in dem Umgange mit
Eduard die Welt vergaß, so schien ihr an
der Gegenwart des Grafen die Welt erst
recht wünschenswerth zu seyn. Jede Anzie¬
hung ist wechselseitig. Der Graf empfand
eine Neigung für Ottilien, daß er sie gern
als seine Tochter betrachtete. Auch hier war
sie der Baronesse zum zweytenmal und mehr
als das erstemal im Wege. Wer weiß was
diese, in Zeiten lebhafterer Leidenschaft, gegen
sie angestiftet hätte; jetzt war es ihr genug,
sie durch eine Verheiratung den Ehefrauen
unschädlicher zu machen.

Sie regte daher den Gehülfen auf eine
leise doch wirksame Art klüglich an, daß er
sich zu einer kleinen Excursion auf das Schloß

Beſuch genauer kennen gelernt. Sie hatte
ſich ihm genaͤhert, ja ſie ward von ihm an¬
gezogen, weil ſie durch ſein gehaltvolles Ge¬
ſpraͤch dasjenige zu ſehen und zu kennen glaub¬
te, was ihr bisher ganz unbekannt geblieben
war. Und wie ſie in dem Umgange mit
Eduard die Welt vergaß, ſo ſchien ihr an
der Gegenwart des Grafen die Welt erſt
recht wuͤnſchenswerth zu ſeyn. Jede Anzie¬
hung iſt wechſelſeitig. Der Graf empfand
eine Neigung fuͤr Ottilien, daß er ſie gern
als ſeine Tochter betrachtete. Auch hier war
ſie der Baroneſſe zum zweytenmal und mehr
als das erſtemal im Wege. Wer weiß was
dieſe, in Zeiten lebhafterer Leidenſchaft, gegen
ſie angeſtiftet haͤtte; jetzt war es ihr genug,
ſie durch eine Verheiratung den Ehefrauen
unſchaͤdlicher zu machen.

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[142/0145] Beſuch genauer kennen gelernt. Sie hatte ſich ihm genaͤhert, ja ſie ward von ihm an¬ gezogen, weil ſie durch ſein gehaltvolles Ge¬ ſpraͤch dasjenige zu ſehen und zu kennen glaub¬ te, was ihr bisher ganz unbekannt geblieben war. Und wie ſie in dem Umgange mit Eduard die Welt vergaß, ſo ſchien ihr an der Gegenwart des Grafen die Welt erſt recht wuͤnſchenswerth zu ſeyn. Jede Anzie¬ hung iſt wechſelſeitig. Der Graf empfand eine Neigung fuͤr Ottilien, daß er ſie gern als ſeine Tochter betrachtete. Auch hier war ſie der Baroneſſe zum zweytenmal und mehr als das erſtemal im Wege. Wer weiß was dieſe, in Zeiten lebhafterer Leidenſchaft, gegen ſie angeſtiftet haͤtte; jetzt war es ihr genug, ſie durch eine Verheiratung den Ehefrauen unſchaͤdlicher zu machen. Sie regte daher den Gehuͤlfen auf eine leiſe doch wirkſame Art kluͤglich an, daß er ſich zu einer kleinen Excurſion auf das Schloß

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/145>, abgerufen am 23.11.2024.