Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

der für mehrere Generationen zu dauern ver¬
spricht und von den Nachkommen erneut und
aufgefrischt werden kann. Aber dieser Stein
ist es nicht, der uns anzieht, sondern das
darunter Enthaltene, das daneben der Erde
Vertraute. Es ist nicht sowohl vom Anden¬
ken die Rede, als von der Person selbst,
nicht von der Erinnerung, sondern von der
Gegenwart. Ein geliebtes Abgeschiedenes
umarme ich weit eher und inniger im Grab¬
hügel als im Denkmal: denn dieses ist für
sich eigentlich nur wenig; aber um dasselbe
her sollen sich, wie um einen Markstein, Gat¬
ten, Verwandte, Freunde, selbst nach ihrem
Hinscheiden noch versammeln, und der Le¬
bende soll das Recht behalten, Fremde und
Miswollende auch von der Seite seiner ge¬
liebten Ruhenden abzuweisen und zu entfernen.

Ich halte deswegen dafür, daß mein
Principal völlig Recht habe, die Stiftung
zurückzunehmen; und dieß ist noch billig ge¬

der fuͤr mehrere Generationen zu dauern ver¬
ſpricht und von den Nachkommen erneut und
aufgefriſcht werden kann. Aber dieſer Stein
iſt es nicht, der uns anzieht, ſondern das
darunter Enthaltene, das daneben der Erde
Vertraute. Es iſt nicht ſowohl vom Anden¬
ken die Rede, als von der Perſon ſelbſt,
nicht von der Erinnerung, ſondern von der
Gegenwart. Ein geliebtes Abgeſchiedenes
umarme ich weit eher und inniger im Grab¬
huͤgel als im Denkmal: denn dieſes iſt fuͤr
ſich eigentlich nur wenig; aber um daſſelbe
her ſollen ſich, wie um einen Markſtein, Gat¬
ten, Verwandte, Freunde, ſelbſt nach ihrem
Hinſcheiden noch verſammeln, und der Le¬
bende ſoll das Recht behalten, Fremde und
Miswollende auch von der Seite ſeiner ge¬
liebten Ruhenden abzuweiſen und zu entfernen.

Ich halte deswegen dafuͤr, daß mein
Principal voͤllig Recht habe, die Stiftung
zuruͤckzunehmen; und dieß iſt noch billig ge¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0014" n="11"/>
der fu&#x0364;r mehrere Generationen zu dauern ver¬<lb/>
&#x017F;pricht und von den Nachkommen erneut und<lb/>
aufgefri&#x017F;cht werden kann. Aber die&#x017F;er Stein<lb/>
i&#x017F;t es nicht, der uns anzieht, &#x017F;ondern das<lb/>
darunter Enthaltene, das daneben der Erde<lb/>
Vertraute. Es i&#x017F;t nicht &#x017F;owohl vom Anden¬<lb/>
ken die Rede, als von der Per&#x017F;on &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/>
nicht von der Erinnerung, &#x017F;ondern von der<lb/>
Gegenwart. Ein geliebtes Abge&#x017F;chiedenes<lb/>
umarme ich weit eher und inniger im Grab¬<lb/>
hu&#x0364;gel als im Denkmal: denn die&#x017F;es i&#x017F;t fu&#x0364;r<lb/>
&#x017F;ich eigentlich nur wenig; aber um da&#x017F;&#x017F;elbe<lb/>
her &#x017F;ollen &#x017F;ich, wie um einen Mark&#x017F;tein, Gat¬<lb/>
ten, Verwandte, Freunde, &#x017F;elb&#x017F;t nach ihrem<lb/>
Hin&#x017F;cheiden noch ver&#x017F;ammeln, und der Le¬<lb/>
bende &#x017F;oll das Recht behalten, Fremde und<lb/>
Miswollende auch von der Seite &#x017F;einer ge¬<lb/>
liebten Ruhenden abzuwei&#x017F;en und zu entfernen.</p><lb/>
        <p>Ich halte deswegen dafu&#x0364;r, daß mein<lb/>
Principal vo&#x0364;llig Recht habe, die Stiftung<lb/>
zuru&#x0364;ckzunehmen; und dieß i&#x017F;t noch billig ge¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[11/0014] der fuͤr mehrere Generationen zu dauern ver¬ ſpricht und von den Nachkommen erneut und aufgefriſcht werden kann. Aber dieſer Stein iſt es nicht, der uns anzieht, ſondern das darunter Enthaltene, das daneben der Erde Vertraute. Es iſt nicht ſowohl vom Anden¬ ken die Rede, als von der Perſon ſelbſt, nicht von der Erinnerung, ſondern von der Gegenwart. Ein geliebtes Abgeſchiedenes umarme ich weit eher und inniger im Grab¬ huͤgel als im Denkmal: denn dieſes iſt fuͤr ſich eigentlich nur wenig; aber um daſſelbe her ſollen ſich, wie um einen Markſtein, Gat¬ ten, Verwandte, Freunde, ſelbſt nach ihrem Hinſcheiden noch verſammeln, und der Le¬ bende ſoll das Recht behalten, Fremde und Miswollende auch von der Seite ſeiner ge¬ liebten Ruhenden abzuweiſen und zu entfernen. Ich halte deswegen dafuͤr, daß mein Principal voͤllig Recht habe, die Stiftung zuruͤckzunehmen; und dieß iſt noch billig ge¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/14
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/14>, abgerufen am 26.04.2024.