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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809.

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Bald fanden sich die Dreye im Saale zu¬
sammen; das Essen ward aufgetragen, und
Mittler erzählte von seinen heutigen Thaten
und Vorhaben. Dieser seltsame Mann war
früherhin Geistlicher gewesen und hatte sich
bey einer rastlosen Thätigkeit in seinem Amte
dadurch ausgezeichnet, daß er alle Streitig¬
keiten, sowohl die häuslichen, als die nach¬
barlichen, erst der einzelnen Bewohner, so¬
dann ganzer Gemeinden und mehrerer Guts¬
besitzer, zu stillen und zu schlichten wußte.
So lange er im Dienste war, hatte sich kein
Ehpaar scheiden lassen, und die Landescolle¬
gien wurden mit keinen Händeln und Pro¬
cessen von dorther behelliget. Wie nöthig
ihm die Rechtskunde sey, ward er zeitig ge¬
wahr. Er warf sein ganzes Studium darauf,
und fühlte sich bald den geschicktesten Advoca¬
ten gewachsen. Sein Wirkungskreis dehnte
sich wunderbar aus, und man war im Be¬
griff ihn nach der Residenz zu ziehen, um
das von oben herein zu vollenden, was er

Bald fanden ſich die Dreye im Saale zu¬
ſammen; das Eſſen ward aufgetragen, und
Mittler erzaͤhlte von ſeinen heutigen Thaten
und Vorhaben. Dieſer ſeltſame Mann war
fruͤherhin Geiſtlicher geweſen und hatte ſich
bey einer raſtloſen Thaͤtigkeit in ſeinem Amte
dadurch ausgezeichnet, daß er alle Streitig¬
keiten, ſowohl die haͤuslichen, als die nach¬
barlichen, erſt der einzelnen Bewohner, ſo¬
dann ganzer Gemeinden und mehrerer Guts¬
beſitzer, zu ſtillen und zu ſchlichten wußte.
So lange er im Dienſte war, hatte ſich kein
Ehpaar ſcheiden laſſen, und die Landescolle¬
gien wurden mit keinen Haͤndeln und Pro¬
ceſſen von dorther behelliget. Wie noͤthig
ihm die Rechtskunde ſey, ward er zeitig ge¬
wahr. Er warf ſein ganzes Studium darauf,
und fuͤhlte ſich bald den geſchickteſten Advoca¬
ten gewachſen. Sein Wirkungskreis dehnte
ſich wunderbar aus, und man war im Be¬
griff ihn nach der Reſidenz zu ziehen, um
das von oben herein zu vollenden, was er

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[36/0041] Bald fanden ſich die Dreye im Saale zu¬ ſammen; das Eſſen ward aufgetragen, und Mittler erzaͤhlte von ſeinen heutigen Thaten und Vorhaben. Dieſer ſeltſame Mann war fruͤherhin Geiſtlicher geweſen und hatte ſich bey einer raſtloſen Thaͤtigkeit in ſeinem Amte dadurch ausgezeichnet, daß er alle Streitig¬ keiten, ſowohl die haͤuslichen, als die nach¬ barlichen, erſt der einzelnen Bewohner, ſo¬ dann ganzer Gemeinden und mehrerer Guts¬ beſitzer, zu ſtillen und zu ſchlichten wußte. So lange er im Dienſte war, hatte ſich kein Ehpaar ſcheiden laſſen, und die Landescolle¬ gien wurden mit keinen Haͤndeln und Pro¬ ceſſen von dorther behelliget. Wie noͤthig ihm die Rechtskunde ſey, ward er zeitig ge¬ wahr. Er warf ſein ganzes Studium darauf, und fuͤhlte ſich bald den geſchickteſten Advoca¬ ten gewachſen. Sein Wirkungskreis dehnte ſich wunderbar aus, und man war im Be¬ griff ihn nach der Reſidenz zu ziehen, um das von oben herein zu vollenden, was er

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/41>, abgerufen am 21.11.2024.