Bald fanden sich die Dreye im Saale zu¬ sammen; das Essen ward aufgetragen, und Mittler erzählte von seinen heutigen Thaten und Vorhaben. Dieser seltsame Mann war früherhin Geistlicher gewesen und hatte sich bey einer rastlosen Thätigkeit in seinem Amte dadurch ausgezeichnet, daß er alle Streitig¬ keiten, sowohl die häuslichen, als die nach¬ barlichen, erst der einzelnen Bewohner, so¬ dann ganzer Gemeinden und mehrerer Guts¬ besitzer, zu stillen und zu schlichten wußte. So lange er im Dienste war, hatte sich kein Ehpaar scheiden lassen, und die Landescolle¬ gien wurden mit keinen Händeln und Pro¬ cessen von dorther behelliget. Wie nöthig ihm die Rechtskunde sey, ward er zeitig ge¬ wahr. Er warf sein ganzes Studium darauf, und fühlte sich bald den geschicktesten Advoca¬ ten gewachsen. Sein Wirkungskreis dehnte sich wunderbar aus, und man war im Be¬ griff ihn nach der Residenz zu ziehen, um das von oben herein zu vollenden, was er
Bald fanden ſich die Dreye im Saale zu¬ ſammen; das Eſſen ward aufgetragen, und Mittler erzaͤhlte von ſeinen heutigen Thaten und Vorhaben. Dieſer ſeltſame Mann war fruͤherhin Geiſtlicher geweſen und hatte ſich bey einer raſtloſen Thaͤtigkeit in ſeinem Amte dadurch ausgezeichnet, daß er alle Streitig¬ keiten, ſowohl die haͤuslichen, als die nach¬ barlichen, erſt der einzelnen Bewohner, ſo¬ dann ganzer Gemeinden und mehrerer Guts¬ beſitzer, zu ſtillen und zu ſchlichten wußte. So lange er im Dienſte war, hatte ſich kein Ehpaar ſcheiden laſſen, und die Landescolle¬ gien wurden mit keinen Haͤndeln und Pro¬ ceſſen von dorther behelliget. Wie noͤthig ihm die Rechtskunde ſey, ward er zeitig ge¬ wahr. Er warf ſein ganzes Studium darauf, und fuͤhlte ſich bald den geſchickteſten Advoca¬ ten gewachſen. Sein Wirkungskreis dehnte ſich wunderbar aus, und man war im Be¬ griff ihn nach der Reſidenz zu ziehen, um das von oben herein zu vollenden, was er
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0041"n="36"/><p>Bald fanden ſich die Dreye im Saale zu¬<lb/>ſammen; das Eſſen ward aufgetragen, und<lb/>
Mittler erzaͤhlte von ſeinen heutigen Thaten<lb/>
und Vorhaben. Dieſer ſeltſame Mann war<lb/>
fruͤherhin Geiſtlicher geweſen und hatte ſich<lb/>
bey einer raſtloſen Thaͤtigkeit in ſeinem Amte<lb/>
dadurch ausgezeichnet, daß er alle Streitig¬<lb/>
keiten, ſowohl die haͤuslichen, als die nach¬<lb/>
barlichen, erſt der einzelnen Bewohner, ſo¬<lb/>
dann ganzer Gemeinden und mehrerer Guts¬<lb/>
beſitzer, zu ſtillen und zu ſchlichten wußte.<lb/>
So lange er im Dienſte war, hatte ſich kein<lb/>
Ehpaar ſcheiden laſſen, und die Landescolle¬<lb/>
gien wurden mit keinen Haͤndeln und Pro¬<lb/>
ceſſen von dorther behelliget. Wie noͤthig<lb/>
ihm die Rechtskunde ſey, ward er zeitig ge¬<lb/>
wahr. Er warf ſein ganzes Studium darauf,<lb/>
und fuͤhlte ſich bald den geſchickteſten Advoca¬<lb/>
ten gewachſen. Sein Wirkungskreis dehnte<lb/>ſich wunderbar aus, und man war im Be¬<lb/>
griff ihn nach der Reſidenz zu ziehen, um<lb/>
das von oben herein zu vollenden, was er<lb/></p></div></body></text></TEI>
[36/0041]
Bald fanden ſich die Dreye im Saale zu¬
ſammen; das Eſſen ward aufgetragen, und
Mittler erzaͤhlte von ſeinen heutigen Thaten
und Vorhaben. Dieſer ſeltſame Mann war
fruͤherhin Geiſtlicher geweſen und hatte ſich
bey einer raſtloſen Thaͤtigkeit in ſeinem Amte
dadurch ausgezeichnet, daß er alle Streitig¬
keiten, ſowohl die haͤuslichen, als die nach¬
barlichen, erſt der einzelnen Bewohner, ſo¬
dann ganzer Gemeinden und mehrerer Guts¬
beſitzer, zu ſtillen und zu ſchlichten wußte.
So lange er im Dienſte war, hatte ſich kein
Ehpaar ſcheiden laſſen, und die Landescolle¬
gien wurden mit keinen Haͤndeln und Pro¬
ceſſen von dorther behelliget. Wie noͤthig
ihm die Rechtskunde ſey, ward er zeitig ge¬
wahr. Er warf ſein ganzes Studium darauf,
und fuͤhlte ſich bald den geſchickteſten Advoca¬
ten gewachſen. Sein Wirkungskreis dehnte
ſich wunderbar aus, und man war im Be¬
griff ihn nach der Reſidenz zu ziehen, um
das von oben herein zu vollenden, was er
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/41>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.