Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

daß der Hauptmann mich auf sie aufmerksam
machte, als wir vor einem Jahre zurückkamen
und sie mit dir bey deiner Tante trafen.
Hübsch ist sie, besonders hat sie schöne Augen;
aber ich wüßte doch nicht, daß sie den min¬
desten Eindruck auf mich gemacht hätte.

Das ist löblich an dir, sagte Charlotte,
denn ich war ja gegenwärtig; und ob sie gleich
viel jünger ist als ich, so hatte doch die Ge¬
genwart der ältern Freundinn so viele Reize
für dich, daß du über die aufblühende ver¬
sprechende Schönheit hinaussahest. Es gehört
auch dieß zu deiner Art zu seyn, deshalb ich
so gern das Leben mit dir theile.

Charlotte, so aufrichtig sie zu sprechen
schien, verhehlte doch etwas. Sie hatte
nämlich damals dem von Reisen zurückkehren¬
den Eduard Ottilien absichtlich vorgeführt,
um dieser geliebten Pflegetochter eine so gro¬
ße Parthie zuzuwenden: denn an sich selbst,

daß der Hauptmann mich auf ſie aufmerkſam
machte, als wir vor einem Jahre zuruͤckkamen
und ſie mit dir bey deiner Tante trafen.
Huͤbſch iſt ſie, beſonders hat ſie ſchoͤne Augen;
aber ich wuͤßte doch nicht, daß ſie den min¬
deſten Eindruck auf mich gemacht haͤtte.

Das iſt loͤblich an dir, ſagte Charlotte,
denn ich war ja gegenwaͤrtig; und ob ſie gleich
viel juͤnger iſt als ich, ſo hatte doch die Ge¬
genwart der aͤltern Freundinn ſo viele Reize
fuͤr dich, daß du uͤber die aufbluͤhende ver¬
ſprechende Schoͤnheit hinausſaheſt. Es gehoͤrt
auch dieß zu deiner Art zu ſeyn, deshalb ich
ſo gern das Leben mit dir theile.

Charlotte, ſo aufrichtig ſie zu ſprechen
ſchien, verhehlte doch etwas. Sie hatte
naͤmlich damals dem von Reiſen zuruͤckkehren¬
den Eduard Ottilien abſichtlich vorgefuͤhrt,
um dieſer geliebten Pflegetochter eine ſo gro¬
ße Parthie zuzuwenden: denn an ſich ſelbſt,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0036" n="31"/>
daß der Hauptmann mich auf &#x017F;ie aufmerk&#x017F;am<lb/>
machte, als wir vor einem Jahre zuru&#x0364;ckkamen<lb/>
und &#x017F;ie mit dir bey deiner Tante trafen.<lb/>
Hu&#x0364;b&#x017F;ch i&#x017F;t &#x017F;ie, be&#x017F;onders hat &#x017F;ie &#x017F;cho&#x0364;ne Augen;<lb/>
aber ich wu&#x0364;ßte doch nicht, daß &#x017F;ie den min¬<lb/>
de&#x017F;ten Eindruck auf mich gemacht ha&#x0364;tte.</p><lb/>
        <p>Das i&#x017F;t lo&#x0364;blich an dir, &#x017F;agte Charlotte,<lb/>
denn ich war ja gegenwa&#x0364;rtig; und ob &#x017F;ie gleich<lb/>
viel ju&#x0364;nger i&#x017F;t als ich, &#x017F;o hatte doch die Ge¬<lb/>
genwart der a&#x0364;ltern Freundinn &#x017F;o viele Reize<lb/>
fu&#x0364;r dich, daß du u&#x0364;ber die aufblu&#x0364;hende ver¬<lb/>
&#x017F;prechende Scho&#x0364;nheit hinaus&#x017F;ahe&#x017F;t. Es geho&#x0364;rt<lb/>
auch dieß zu deiner Art zu &#x017F;eyn, deshalb ich<lb/>
&#x017F;o gern das Leben mit dir theile.</p><lb/>
        <p>Charlotte, &#x017F;o aufrichtig &#x017F;ie zu &#x017F;prechen<lb/>
&#x017F;chien, verhehlte doch etwas. Sie hatte<lb/>
na&#x0364;mlich damals dem von Rei&#x017F;en zuru&#x0364;ckkehren¬<lb/>
den Eduard Ottilien ab&#x017F;ichtlich vorgefu&#x0364;hrt,<lb/>
um die&#x017F;er geliebten Pflegetochter eine &#x017F;o gro¬<lb/>
ße Parthie zuzuwenden: denn an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0036] daß der Hauptmann mich auf ſie aufmerkſam machte, als wir vor einem Jahre zuruͤckkamen und ſie mit dir bey deiner Tante trafen. Huͤbſch iſt ſie, beſonders hat ſie ſchoͤne Augen; aber ich wuͤßte doch nicht, daß ſie den min¬ deſten Eindruck auf mich gemacht haͤtte. Das iſt loͤblich an dir, ſagte Charlotte, denn ich war ja gegenwaͤrtig; und ob ſie gleich viel juͤnger iſt als ich, ſo hatte doch die Ge¬ genwart der aͤltern Freundinn ſo viele Reize fuͤr dich, daß du uͤber die aufbluͤhende ver¬ ſprechende Schoͤnheit hinausſaheſt. Es gehoͤrt auch dieß zu deiner Art zu ſeyn, deshalb ich ſo gern das Leben mit dir theile. Charlotte, ſo aufrichtig ſie zu ſprechen ſchien, verhehlte doch etwas. Sie hatte naͤmlich damals dem von Reiſen zuruͤckkehren¬ den Eduard Ottilien abſichtlich vorgefuͤhrt, um dieſer geliebten Pflegetochter eine ſo gro¬ ße Parthie zuzuwenden: denn an ſich ſelbſt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/36
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/36>, abgerufen am 22.11.2024.