Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

Ottilie konnte dem Mädchen nicht feind seyn,
denn ihr war es besonders freundlich. Zu
ihr zog es sich, mit ihr ging und lief es,
wenn sie es erlaubte. Da war es thätig,
munter und unermüdet. Die Anhänglichkeit
an eine schöne Herrinn schien dem Kinde Be¬
dürfniß zu seyn. Anfänglich duldete Ottilie
die Begleitung des Kindes; dann faßte sie
selbst Neigung zu ihm; endlich trennten sie
sich nicht mehr und Nanny begleitete ihre
Herrinn überall hin.

Diese nahm öfters den Weg nach dem
Garten und freute sich über das schöne Ge¬
deihen. Die Beeren- und Kirschenzeit ging
zu Ende, deren Spätlinge jedoch Nanny sich
besonders schmecken ließ. Bey dem übrigen
Obste, das für den Herbst eine so reichliche
Aernte versprach, gedachte der Gärtner be¬
ständig des Herrn und niemals ohne ihn her¬
beyzuwünschen. Ottilie hörte dem guten alten
Manne so gern zu. Er verstand sein Hand¬

Ottilie konnte dem Maͤdchen nicht feind ſeyn,
denn ihr war es beſonders freundlich. Zu
ihr zog es ſich, mit ihr ging und lief es,
wenn ſie es erlaubte. Da war es thaͤtig,
munter und unermuͤdet. Die Anhaͤnglichkeit
an eine ſchoͤne Herrinn ſchien dem Kinde Be¬
duͤrfniß zu ſeyn. Anfaͤnglich duldete Ottilie
die Begleitung des Kindes; dann faßte ſie
ſelbſt Neigung zu ihm; endlich trennten ſie
ſich nicht mehr und Nanny begleitete ihre
Herrinn uͤberall hin.

Dieſe nahm oͤfters den Weg nach dem
Garten und freute ſich uͤber das ſchoͤne Ge¬
deihen. Die Beeren- und Kirſchenzeit ging
zu Ende, deren Spaͤtlinge jedoch Nanny ſich
beſonders ſchmecken ließ. Bey dem uͤbrigen
Obſte, das fuͤr den Herbſt eine ſo reichliche
Aernte verſprach, gedachte der Gaͤrtner be¬
ſtaͤndig des Herrn und niemals ohne ihn her¬
beyzuwuͤnſchen. Ottilie hoͤrte dem guten alten
Manne ſo gern zu. Er verſtand ſein Hand¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0287" n="282"/>
Ottilie konnte dem Ma&#x0364;dchen nicht feind &#x017F;eyn,<lb/>
denn ihr war es be&#x017F;onders freundlich. Zu<lb/>
ihr zog es &#x017F;ich, mit ihr ging und lief es,<lb/>
wenn &#x017F;ie es erlaubte. Da war es tha&#x0364;tig,<lb/>
munter und unermu&#x0364;det. Die Anha&#x0364;nglichkeit<lb/>
an eine &#x017F;cho&#x0364;ne Herrinn &#x017F;chien dem Kinde Be¬<lb/>
du&#x0364;rfniß zu &#x017F;eyn. Anfa&#x0364;nglich duldete Ottilie<lb/>
die Begleitung des Kindes; dann faßte &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t Neigung zu ihm; endlich trennten &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich nicht mehr und Nanny begleitete ihre<lb/>
Herrinn u&#x0364;berall hin.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;e nahm o&#x0364;fters den Weg nach dem<lb/>
Garten und freute &#x017F;ich u&#x0364;ber das &#x017F;cho&#x0364;ne Ge¬<lb/>
deihen. Die Beeren- und Kir&#x017F;chenzeit ging<lb/>
zu Ende, deren Spa&#x0364;tlinge jedoch Nanny &#x017F;ich<lb/>
be&#x017F;onders &#x017F;chmecken ließ. Bey dem u&#x0364;brigen<lb/>
Ob&#x017F;te, das fu&#x0364;r den Herb&#x017F;t eine &#x017F;o reichliche<lb/>
Aernte ver&#x017F;prach, gedachte der Ga&#x0364;rtner be¬<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndig des Herrn und niemals ohne ihn her¬<lb/>
beyzuwu&#x0364;n&#x017F;chen. Ottilie ho&#x0364;rte dem guten alten<lb/>
Manne &#x017F;o gern zu. Er ver&#x017F;tand &#x017F;ein Hand¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[282/0287] Ottilie konnte dem Maͤdchen nicht feind ſeyn, denn ihr war es beſonders freundlich. Zu ihr zog es ſich, mit ihr ging und lief es, wenn ſie es erlaubte. Da war es thaͤtig, munter und unermuͤdet. Die Anhaͤnglichkeit an eine ſchoͤne Herrinn ſchien dem Kinde Be¬ duͤrfniß zu ſeyn. Anfaͤnglich duldete Ottilie die Begleitung des Kindes; dann faßte ſie ſelbſt Neigung zu ihm; endlich trennten ſie ſich nicht mehr und Nanny begleitete ihre Herrinn uͤberall hin. Dieſe nahm oͤfters den Weg nach dem Garten und freute ſich uͤber das ſchoͤne Ge¬ deihen. Die Beeren- und Kirſchenzeit ging zu Ende, deren Spaͤtlinge jedoch Nanny ſich beſonders ſchmecken ließ. Bey dem uͤbrigen Obſte, das fuͤr den Herbſt eine ſo reichliche Aernte verſprach, gedachte der Gaͤrtner be¬ ſtaͤndig des Herrn und niemals ohne ihn her¬ beyzuwuͤnſchen. Ottilie hoͤrte dem guten alten Manne ſo gern zu. Er verſtand ſein Hand¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/287
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/287>, abgerufen am 24.11.2024.