Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

Dieß gab ihr Muth und Lust ihn mit et¬
was Aehnlichem zu empfangen. Man hatte
zeither die Mädchen des Dorfes im Nähen,
Stricken, Spinnen und andern weiblichen Ar¬
beiten zu ermuntern gesucht. Auch diese Tu¬
genden hatten zugenommen seit jenen Anstal¬
ten zu Reinlichkeit und Schönheit des Dor¬
fes. Ottilie wirkte stets mit ein; aber mehr
zufällig, nach Gelegenheit und Neigung. Nun
gedachte sie es vollständiger und folgerechter
zu machen. Aber aus einer Anzahl Mädchen
läßt sich kein Chor bilden, wie aus einer
Anzahl Knaben. Sie folgte ihrem guten
Sinne, und ohne sich's ganz deutlich zu
machen, suchte sie nichts als einem jeden
Mädchen Anhänglichkeit an sein Haus, seine
Aeltern und seine Geschwister einzuflößen.

Das gelang ihr mit vielen. Nur über
ein kleines, lebhaftes Mädchen wurde immer
geklagt, daß sie ohne Geschick sey, und im
Hause nun ein für allemal nichts thun wolle.

Dieß gab ihr Muth und Luſt ihn mit et¬
was Aehnlichem zu empfangen. Man hatte
zeither die Maͤdchen des Dorfes im Naͤhen,
Stricken, Spinnen und andern weiblichen Ar¬
beiten zu ermuntern geſucht. Auch dieſe Tu¬
genden hatten zugenommen ſeit jenen Anſtal¬
ten zu Reinlichkeit und Schoͤnheit des Dor¬
fes. Ottilie wirkte ſtets mit ein; aber mehr
zufaͤllig, nach Gelegenheit und Neigung. Nun
gedachte ſie es vollſtaͤndiger und folgerechter
zu machen. Aber aus einer Anzahl Maͤdchen
laͤßt ſich kein Chor bilden, wie aus einer
Anzahl Knaben. Sie folgte ihrem guten
Sinne, und ohne ſich's ganz deutlich zu
machen, ſuchte ſie nichts als einem jeden
Maͤdchen Anhaͤnglichkeit an ſein Haus, ſeine
Aeltern und ſeine Geſchwiſter einzufloͤßen.

Das gelang ihr mit vielen. Nur uͤber
ein kleines, lebhaftes Maͤdchen wurde immer
geklagt, daß ſie ohne Geſchick ſey, und im
Hauſe nun ein fuͤr allemal nichts thun wolle.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0286" n="281"/>
        <p>Dieß gab ihr Muth und Lu&#x017F;t ihn mit et¬<lb/>
was Aehnlichem zu empfangen. Man hatte<lb/>
zeither die Ma&#x0364;dchen des Dorfes im Na&#x0364;hen,<lb/>
Stricken, Spinnen und andern weiblichen Ar¬<lb/>
beiten zu ermuntern ge&#x017F;ucht. Auch die&#x017F;e Tu¬<lb/>
genden hatten zugenommen &#x017F;eit jenen An&#x017F;tal¬<lb/>
ten zu Reinlichkeit und Scho&#x0364;nheit des Dor¬<lb/>
fes. Ottilie wirkte &#x017F;tets mit ein; aber mehr<lb/>
zufa&#x0364;llig, nach Gelegenheit und Neigung. Nun<lb/>
gedachte &#x017F;ie es voll&#x017F;ta&#x0364;ndiger und folgerechter<lb/>
zu machen. Aber aus einer Anzahl Ma&#x0364;dchen<lb/>
la&#x0364;ßt &#x017F;ich kein Chor bilden, wie aus einer<lb/>
Anzahl Knaben. Sie folgte ihrem guten<lb/>
Sinne, und ohne &#x017F;ich's ganz deutlich zu<lb/>
machen, &#x017F;uchte &#x017F;ie nichts als einem jeden<lb/>
Ma&#x0364;dchen Anha&#x0364;nglichkeit an &#x017F;ein Haus, &#x017F;eine<lb/>
Aeltern und &#x017F;eine Ge&#x017F;chwi&#x017F;ter einzuflo&#x0364;ßen.</p><lb/>
        <p>Das gelang ihr mit vielen. Nur u&#x0364;ber<lb/>
ein kleines, lebhaftes Ma&#x0364;dchen wurde immer<lb/>
geklagt, daß &#x017F;ie ohne Ge&#x017F;chick &#x017F;ey, und im<lb/>
Hau&#x017F;e nun ein fu&#x0364;r allemal nichts thun wolle.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[281/0286] Dieß gab ihr Muth und Luſt ihn mit et¬ was Aehnlichem zu empfangen. Man hatte zeither die Maͤdchen des Dorfes im Naͤhen, Stricken, Spinnen und andern weiblichen Ar¬ beiten zu ermuntern geſucht. Auch dieſe Tu¬ genden hatten zugenommen ſeit jenen Anſtal¬ ten zu Reinlichkeit und Schoͤnheit des Dor¬ fes. Ottilie wirkte ſtets mit ein; aber mehr zufaͤllig, nach Gelegenheit und Neigung. Nun gedachte ſie es vollſtaͤndiger und folgerechter zu machen. Aber aus einer Anzahl Maͤdchen laͤßt ſich kein Chor bilden, wie aus einer Anzahl Knaben. Sie folgte ihrem guten Sinne, und ohne ſich's ganz deutlich zu machen, ſuchte ſie nichts als einem jeden Maͤdchen Anhaͤnglichkeit an ſein Haus, ſeine Aeltern und ſeine Geſchwiſter einzufloͤßen. Das gelang ihr mit vielen. Nur uͤber ein kleines, lebhaftes Maͤdchen wurde immer geklagt, daß ſie ohne Geſchick ſey, und im Hauſe nun ein fuͤr allemal nichts thun wolle.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/286
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/286>, abgerufen am 11.05.2024.