Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

von ihrer Seite. Warum sollen wir nicht
mit Worten aussprechen, was uns jede Stunde
gesteht und bekennt? Sollen wir nicht soviel
Vorsicht haben, uns zu fragen, was das wer¬
den wird?

Wenn man auch sogleich darauf nicht ant¬
worten kann, versetzte Eduard, der sich zu¬
sammennahm; so läßt sich doch soviel sagen,
daß man eben alsdann sich am ersten ent¬
schließt abzuwarten was uns die Zukunft leh¬
ren wird, wenn man gerade nicht sagen kann,
was aus einer Sache werden soll.

Hier vorauszusehen, versetzte Charlotte,
bedarf es wohl keiner großen Weisheit, und
soviel läßt sich auf alle Fälle gleich sagen,
daß wir beyde nicht mehr jung genug sind,
um blindlings dahin zu gehen, wohin man
nicht möchte oder nicht sollte. Niemand kann
mehr für uns sorgen; wir müssen unsre eigenen
Freunde seyn, unsre eigenen Hofmeister. Nie¬

von ihrer Seite. Warum ſollen wir nicht
mit Worten ausſprechen, was uns jede Stunde
geſteht und bekennt? Sollen wir nicht ſoviel
Vorſicht haben, uns zu fragen, was das wer¬
den wird?

Wenn man auch ſogleich darauf nicht ant¬
worten kann, verſetzte Eduard, der ſich zu¬
ſammennahm; ſo laͤßt ſich doch ſoviel ſagen,
daß man eben alsdann ſich am erſten ent¬
ſchließt abzuwarten was uns die Zukunft leh¬
ren wird, wenn man gerade nicht ſagen kann,
was aus einer Sache werden ſoll.

Hier vorauszuſehen, verſetzte Charlotte,
bedarf es wohl keiner großen Weisheit, und
ſoviel laͤßt ſich auf alle Faͤlle gleich ſagen,
daß wir beyde nicht mehr jung genug ſind,
um blindlings dahin zu gehen, wohin man
nicht moͤchte oder nicht ſollte. Niemand kann
mehr fuͤr uns ſorgen; wir muͤſſen unſre eigenen
Freunde ſeyn, unſre eigenen Hofmeiſter. Nie¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0266" n="261"/>
von ihrer Seite. Warum &#x017F;ollen wir nicht<lb/>
mit Worten aus&#x017F;prechen, was uns jede Stunde<lb/>
ge&#x017F;teht und bekennt? Sollen wir nicht &#x017F;oviel<lb/>
Vor&#x017F;icht haben, uns zu fragen, was das wer¬<lb/>
den wird?</p><lb/>
        <p>Wenn man auch &#x017F;ogleich darauf nicht ant¬<lb/>
worten kann, ver&#x017F;etzte Eduard, der &#x017F;ich zu¬<lb/>
&#x017F;ammennahm; &#x017F;o la&#x0364;ßt &#x017F;ich doch &#x017F;oviel &#x017F;agen,<lb/>
daß man eben alsdann &#x017F;ich am er&#x017F;ten ent¬<lb/>
&#x017F;chließt abzuwarten was uns die Zukunft leh¬<lb/>
ren wird, wenn man gerade nicht &#x017F;agen kann,<lb/>
was aus einer Sache werden &#x017F;oll.</p><lb/>
        <p>Hier vorauszu&#x017F;ehen, ver&#x017F;etzte Charlotte,<lb/>
bedarf es wohl keiner großen Weisheit, und<lb/>
&#x017F;oviel la&#x0364;ßt &#x017F;ich auf alle Fa&#x0364;lle gleich &#x017F;agen,<lb/>
daß wir beyde nicht mehr jung genug &#x017F;ind,<lb/>
um blindlings dahin zu gehen, wohin man<lb/>
nicht mo&#x0364;chte oder nicht &#x017F;ollte. Niemand kann<lb/>
mehr fu&#x0364;r uns &#x017F;orgen; wir mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en un&#x017F;re eigenen<lb/>
Freunde &#x017F;eyn, un&#x017F;re eigenen Hofmei&#x017F;ter. Nie¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[261/0266] von ihrer Seite. Warum ſollen wir nicht mit Worten ausſprechen, was uns jede Stunde geſteht und bekennt? Sollen wir nicht ſoviel Vorſicht haben, uns zu fragen, was das wer¬ den wird? Wenn man auch ſogleich darauf nicht ant¬ worten kann, verſetzte Eduard, der ſich zu¬ ſammennahm; ſo laͤßt ſich doch ſoviel ſagen, daß man eben alsdann ſich am erſten ent¬ ſchließt abzuwarten was uns die Zukunft leh¬ ren wird, wenn man gerade nicht ſagen kann, was aus einer Sache werden ſoll. Hier vorauszuſehen, verſetzte Charlotte, bedarf es wohl keiner großen Weisheit, und ſoviel laͤßt ſich auf alle Faͤlle gleich ſagen, daß wir beyde nicht mehr jung genug ſind, um blindlings dahin zu gehen, wohin man nicht moͤchte oder nicht ſollte. Niemand kann mehr fuͤr uns ſorgen; wir muͤſſen unſre eigenen Freunde ſeyn, unſre eigenen Hofmeiſter. Nie¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/266
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/266>, abgerufen am 11.05.2024.