Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

mehrere Schritte voran. Eine herzliche Freude
drückte sich in seinem ganzen Wesen aus. Er
küßte ihr die Hand, in die er einen Strauß
Feldblumen drückte, die er unterwegs zusam¬
mengepflückt hatte. Die Baronesse fühlte
sich bey diesem Anblick in ihrem Innern fast er¬
bittert. Denn wenn sie auch das was an
dieser Neigung strafbar seyn mochte, nicht billi¬
gen durfte, so konnte sie das was daran lie¬
benswürdig und angenehm war, jenem unbe¬
deutenden Neuling von Mädchen keineswegs
gönnen.

Als man sich zum Abendessen zusammen
gesetzt hatte, war eine völlig andre Stimmung
in der Gesellschaft verbreitet. Der Graf,
der schon vor Tische geschrieben und den Bo¬
ten fortgeschickt hatte, unterhielt sich mit dem
Hauptmann, den er auf eine verständige und
bescheidene Weise immer mehr ausforschte,
indem er ihn diesen Abend an seine Seite
gebracht hatte. Die zur Rechten des Gra¬

mehrere Schritte voran. Eine herzliche Freude
druͤckte ſich in ſeinem ganzen Weſen aus. Er
kuͤßte ihr die Hand, in die er einen Strauß
Feldblumen druͤckte, die er unterwegs zuſam¬
mengepfluͤckt hatte. Die Baroneſſe fuͤhlte
ſich bey dieſem Anblick in ihrem Innern faſt er¬
bittert. Denn wenn ſie auch das was an
dieſer Neigung ſtrafbar ſeyn mochte, nicht billi¬
gen durfte, ſo konnte ſie das was daran lie¬
benswuͤrdig und angenehm war, jenem unbe¬
deutenden Neuling von Maͤdchen keineswegs
goͤnnen.

Als man ſich zum Abendeſſen zuſammen
geſetzt hatte, war eine voͤllig andre Stimmung
in der Geſellſchaft verbreitet. Der Graf,
der ſchon vor Tiſche geſchrieben und den Bo¬
ten fortgeſchickt hatte, unterhielt ſich mit dem
Hauptmann, den er auf eine verſtaͤndige und
beſcheidene Weiſe immer mehr ausforſchte,
indem er ihn dieſen Abend an ſeine Seite
gebracht hatte. Die zur Rechten des Gra¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0199" n="194"/>
mehrere Schritte voran. Eine herzliche Freude<lb/>
dru&#x0364;ckte &#x017F;ich in &#x017F;einem ganzen We&#x017F;en aus. Er<lb/>
ku&#x0364;ßte ihr die Hand, in die er einen Strauß<lb/>
Feldblumen dru&#x0364;ckte, die er unterwegs zu&#x017F;am¬<lb/>
mengepflu&#x0364;ckt hatte. Die Barone&#x017F;&#x017F;e fu&#x0364;hlte<lb/>
&#x017F;ich bey die&#x017F;em Anblick in ihrem Innern fa&#x017F;t er¬<lb/>
bittert. Denn wenn &#x017F;ie auch das was an<lb/>
die&#x017F;er Neigung &#x017F;trafbar &#x017F;eyn mochte, nicht billi¬<lb/>
gen durfte, &#x017F;o konnte &#x017F;ie das was daran lie¬<lb/>
benswu&#x0364;rdig und angenehm war, jenem unbe¬<lb/>
deutenden Neuling von Ma&#x0364;dchen keineswegs<lb/>
go&#x0364;nnen.</p><lb/>
        <p>Als man &#x017F;ich zum Abende&#x017F;&#x017F;en zu&#x017F;ammen<lb/>
ge&#x017F;etzt hatte, war eine vo&#x0364;llig andre Stimmung<lb/>
in der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft verbreitet. Der Graf,<lb/>
der &#x017F;chon vor Ti&#x017F;che ge&#x017F;chrieben und den Bo¬<lb/>
ten fortge&#x017F;chickt hatte, unterhielt &#x017F;ich mit dem<lb/>
Hauptmann, den er auf eine ver&#x017F;ta&#x0364;ndige und<lb/>
be&#x017F;cheidene Wei&#x017F;e immer mehr ausfor&#x017F;chte,<lb/>
indem er ihn die&#x017F;en Abend an &#x017F;eine Seite<lb/>
gebracht hatte. Die zur Rechten des Gra¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[194/0199] mehrere Schritte voran. Eine herzliche Freude druͤckte ſich in ſeinem ganzen Weſen aus. Er kuͤßte ihr die Hand, in die er einen Strauß Feldblumen druͤckte, die er unterwegs zuſam¬ mengepfluͤckt hatte. Die Baroneſſe fuͤhlte ſich bey dieſem Anblick in ihrem Innern faſt er¬ bittert. Denn wenn ſie auch das was an dieſer Neigung ſtrafbar ſeyn mochte, nicht billi¬ gen durfte, ſo konnte ſie das was daran lie¬ benswuͤrdig und angenehm war, jenem unbe¬ deutenden Neuling von Maͤdchen keineswegs goͤnnen. Als man ſich zum Abendeſſen zuſammen geſetzt hatte, war eine voͤllig andre Stimmung in der Geſellſchaft verbreitet. Der Graf, der ſchon vor Tiſche geſchrieben und den Bo¬ ten fortgeſchickt hatte, unterhielt ſich mit dem Hauptmann, den er auf eine verſtaͤndige und beſcheidene Weiſe immer mehr ausforſchte, indem er ihn dieſen Abend an ſeine Seite gebracht hatte. Die zur Rechten des Gra¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/199
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/199>, abgerufen am 27.11.2024.