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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809.

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geben hatten, fuhr er mit verdrießlicher Leb¬
haftigkeit heraus, indem er sogleich nach Hut
und Reitgerte suchte. Schwebt doch immer
ein Unstern über mir, sobald ich einmal ruhen
und mir wohlthun will! Aber warum gehe
ich auch aus meinem Character heraus! Ich
hätte nicht kommen sollen, und nun werd' ich
vertrieben. Denn mit Jenen will ich nicht
unter Einem Dache bleiben; und nehmt Euch
in Acht: sie bringen nichts als Unheil! Ihr
Wesen ist wie ein Sauerteig, der seine An¬
steckung fortpflanzt.

Man suchte ihn zu begütigen; aber ver¬
gebens. Wer mir den Ehstand angreift, rief
er aus, wer mir durch Wort, ja durch
That, diesen Grund aller sittlichen Gesell¬
schaft untergräbt, der hat es mit mir zu
thun; oder wenn ich ihn nicht Herr werden
kann, habe ich nichts mit ihm zu thun. Die
Ehe ist der Anfang und der Gipfel aller Cul¬
tur. Sie macht den Rohen mild, und der

geben hatten, fuhr er mit verdrießlicher Leb¬
haftigkeit heraus, indem er ſogleich nach Hut
und Reitgerte ſuchte. Schwebt doch immer
ein Unſtern uͤber mir, ſobald ich einmal ruhen
und mir wohlthun will! Aber warum gehe
ich auch aus meinem Character heraus! Ich
haͤtte nicht kommen ſollen, und nun werd' ich
vertrieben. Denn mit Jenen will ich nicht
unter Einem Dache bleiben; und nehmt Euch
in Acht: ſie bringen nichts als Unheil! Ihr
Weſen iſt wie ein Sauerteig, der ſeine An¬
ſteckung fortpflanzt.

Man ſuchte ihn zu beguͤtigen; aber ver¬
gebens. Wer mir den Ehſtand angreift, rief
er aus, wer mir durch Wort, ja durch
That, dieſen Grund aller ſittlichen Geſell¬
ſchaft untergraͤbt, der hat es mit mir zu
thun; oder wenn ich ihn nicht Herr werden
kann, habe ich nichts mit ihm zu thun. Die
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tur. Sie macht den Rohen mild, und der

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[169/0174] geben hatten, fuhr er mit verdrießlicher Leb¬ haftigkeit heraus, indem er ſogleich nach Hut und Reitgerte ſuchte. Schwebt doch immer ein Unſtern uͤber mir, ſobald ich einmal ruhen und mir wohlthun will! Aber warum gehe ich auch aus meinem Character heraus! Ich haͤtte nicht kommen ſollen, und nun werd' ich vertrieben. Denn mit Jenen will ich nicht unter Einem Dache bleiben; und nehmt Euch in Acht: ſie bringen nichts als Unheil! Ihr Weſen iſt wie ein Sauerteig, der ſeine An¬ ſteckung fortpflanzt. Man ſuchte ihn zu beguͤtigen; aber ver¬ gebens. Wer mir den Ehſtand angreift, rief er aus, wer mir durch Wort, ja durch That, dieſen Grund aller ſittlichen Geſell¬ ſchaft untergraͤbt, der hat es mit mir zu thun; oder wenn ich ihn nicht Herr werden kann, habe ich nichts mit ihm zu thun. Die Ehe iſt der Anfang und der Gipfel aller Cul¬ tur. Sie macht den Rohen mild, und der

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/174>, abgerufen am 06.05.2024.