Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

gleich, so wie ihre gelassene Regsamkeit. Und
so war ihr Sitzen, Aufstehen, Gehen, Kom¬
men, Hohlen, Bringen, wieder Niedersitzen,
ohne einen Schein von Unruhe ein ewiger
Wechsel, eine ewige angenehme Bewegung.
Dazu kam, daß man sie nicht gehen hörte,
so leise trat sie auf.

Diese anständige Dienstfertigkeit Ottiliens
machte Charlotten viele Freude. Ein einziges
was ihr nicht ganz angemessen vorkam, ver¬
barg sie Ottilien nicht. Es gehört, sagte sie
eines Tages zu ihr, unter die lobenswürdi¬
gen Aufmerksamkeiten, daß wir uns schnell
bücken, wenn Jemand etwas aus der Hand
fallen läßt, und es eilig aufzuheben suchen.
Wir bekennen uns dadurch ihm gleichsam
dienstpflichtig; nur ist in der größern Welt
dabey zu bedenken, wem man eine solche Er¬
gebenheit bezeigt. Gegen Frauen will ich
dir darüber keine Gesetze vorschreiben. Du
bist jung. Gegen Höhere und Aeltere ist es

gleich, ſo wie ihre gelaſſene Regſamkeit. Und
ſo war ihr Sitzen, Aufſtehen, Gehen, Kom¬
men, Hohlen, Bringen, wieder Niederſitzen,
ohne einen Schein von Unruhe ein ewiger
Wechſel, eine ewige angenehme Bewegung.
Dazu kam, daß man ſie nicht gehen hoͤrte,
ſo leiſe trat ſie auf.

Dieſe anſtaͤndige Dienſtfertigkeit Ottiliens
machte Charlotten viele Freude. Ein einziges
was ihr nicht ganz angemeſſen vorkam, ver¬
barg ſie Ottilien nicht. Es gehoͤrt, ſagte ſie
eines Tages zu ihr, unter die lobenswuͤrdi¬
gen Aufmerkſamkeiten, daß wir uns ſchnell
buͤcken, wenn Jemand etwas aus der Hand
fallen laͤßt, und es eilig aufzuheben ſuchen.
Wir bekennen uns dadurch ihm gleichſam
dienſtpflichtig; nur iſt in der groͤßern Welt
dabey zu bedenken, wem man eine ſolche Er¬
gebenheit bezeigt. Gegen Frauen will ich
dir daruͤber keine Geſetze vorſchreiben. Du
biſt jung. Gegen Hoͤhere und Aeltere iſt es

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0116" n="111"/>
gleich, &#x017F;o wie ihre gela&#x017F;&#x017F;ene Reg&#x017F;amkeit. Und<lb/>
&#x017F;o war ihr Sitzen, Auf&#x017F;tehen, Gehen, Kom¬<lb/>
men, Hohlen, Bringen, wieder Nieder&#x017F;itzen,<lb/>
ohne einen Schein von Unruhe ein ewiger<lb/>
Wech&#x017F;el, eine ewige angenehme Bewegung.<lb/>
Dazu kam, daß man &#x017F;ie nicht gehen ho&#x0364;rte,<lb/>
&#x017F;o lei&#x017F;e trat &#x017F;ie auf.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;e an&#x017F;ta&#x0364;ndige Dien&#x017F;tfertigkeit Ottiliens<lb/>
machte Charlotten viele Freude. Ein einziges<lb/>
was ihr nicht ganz angeme&#x017F;&#x017F;en vorkam, ver¬<lb/>
barg &#x017F;ie Ottilien nicht. Es geho&#x0364;rt, &#x017F;agte &#x017F;ie<lb/>
eines Tages zu ihr, unter die lobenswu&#x0364;rdi¬<lb/>
gen Aufmerk&#x017F;amkeiten, daß wir uns &#x017F;chnell<lb/>
bu&#x0364;cken, wenn Jemand etwas aus der Hand<lb/>
fallen la&#x0364;ßt, und es eilig aufzuheben &#x017F;uchen.<lb/>
Wir bekennen uns dadurch ihm gleich&#x017F;am<lb/>
dien&#x017F;tpflichtig; nur i&#x017F;t in der gro&#x0364;ßern Welt<lb/>
dabey zu bedenken, wem man eine &#x017F;olche Er¬<lb/>
gebenheit bezeigt. Gegen Frauen will ich<lb/>
dir daru&#x0364;ber keine Ge&#x017F;etze vor&#x017F;chreiben. Du<lb/>
bi&#x017F;t jung. Gegen Ho&#x0364;here und Aeltere i&#x017F;t es<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[111/0116] gleich, ſo wie ihre gelaſſene Regſamkeit. Und ſo war ihr Sitzen, Aufſtehen, Gehen, Kom¬ men, Hohlen, Bringen, wieder Niederſitzen, ohne einen Schein von Unruhe ein ewiger Wechſel, eine ewige angenehme Bewegung. Dazu kam, daß man ſie nicht gehen hoͤrte, ſo leiſe trat ſie auf. Dieſe anſtaͤndige Dienſtfertigkeit Ottiliens machte Charlotten viele Freude. Ein einziges was ihr nicht ganz angemeſſen vorkam, ver¬ barg ſie Ottilien nicht. Es gehoͤrt, ſagte ſie eines Tages zu ihr, unter die lobenswuͤrdi¬ gen Aufmerkſamkeiten, daß wir uns ſchnell buͤcken, wenn Jemand etwas aus der Hand fallen laͤßt, und es eilig aufzuheben ſuchen. Wir bekennen uns dadurch ihm gleichſam dienſtpflichtig; nur iſt in der groͤßern Welt dabey zu bedenken, wem man eine ſolche Er¬ gebenheit bezeigt. Gegen Frauen will ich dir daruͤber keine Geſetze vorſchreiben. Du biſt jung. Gegen Hoͤhere und Aeltere iſt es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/116
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/116>, abgerufen am 08.05.2024.