Goethe, Johann Wolfgang von: Torquato Tasso. Leipzig, 1790.Torquato Tasso Leonore. Du hast um fremde Menschen dich so lang' Bemüht und dich nach ihrem Sinn gerichtet: Nun, da du deine Freunde wieder siehst, Verkennst du sie, und rechtest wie mit Fremden. Antonio. Da liegt, geliebte Freundinn, die Gefahr! Mit fremden Menschen nimmt man sich zu- sammen, Da merkt man auf, da sucht man seinen Zweck In ihrer Gunst, damit sie nutzen sollen. Allein bey Freunden läßt man frey sich gehn, Man ruht in ihrer Liebe, man erlaubt Sich eine Laune, ungezähmter wirkt Die Leidenschaft, und so verletzen wir Am ersten die, die wir am zärtsten lieben. Leonore. In dieser ruhigen Betrachtung find' ich dich Schon ganz, mein theurer Freund, mit Freu- den wieder. Torquato Taſſo Leonore. Du haſt um fremde Menſchen dich ſo lang’ Bemüht und dich nach ihrem Sinn gerichtet: Nun, da du deine Freunde wieder ſiehſt, Verkennſt du ſie, und rechteſt wie mit Fremden. Antonio. Da liegt, geliebte Freundinn, die Gefahr! Mit fremden Menſchen nimmt man ſich zu- ſammen, Da merkt man auf, da ſucht man ſeinen Zweck In ihrer Gunſt, damit ſie nutzen ſollen. Allein bey Freunden läßt man frey ſich gehn, Man ruht in ihrer Liebe, man erlaubt Sich eine Laune, ungezähmter wirkt Die Leidenſchaft, und ſo verletzen wir Am erſten die, die wir am zärtſten lieben. Leonore. In dieſer ruhigen Betrachtung find’ ich dich Schon ganz, mein theurer Freund, mit Freu- den wieder. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0136" n="128"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Torquato Taſſo</hi> </fw><lb/> <sp who="#LEO"> <speaker><hi rendition="#g">Leonore</hi>.</speaker><lb/> <p>Du haſt um fremde Menſchen dich ſo lang’<lb/> Bemüht und dich nach ihrem Sinn gerichtet:<lb/> Nun, da du deine Freunde wieder ſiehſt,<lb/> Verkennſt du ſie, und rechteſt wie mit Fremden.</p> </sp><lb/> <sp who="#ANT"> <speaker><hi rendition="#g">Antonio</hi>.</speaker><lb/> <p>Da liegt, geliebte Freundinn, die Gefahr!<lb/> Mit fremden Menſchen nimmt man ſich zu-<lb/> ſammen,<lb/> Da merkt man auf, da ſucht man ſeinen Zweck<lb/> In ihrer Gunſt, damit ſie nutzen ſollen.<lb/> Allein bey Freunden läßt man frey ſich gehn,<lb/> Man ruht in ihrer Liebe, man erlaubt<lb/> Sich eine Laune, ungezähmter wirkt<lb/> Die Leidenſchaft, und ſo verletzen wir<lb/> Am erſten die, die wir am zärtſten lieben.</p> </sp><lb/> <sp who="#LEO"> <speaker><hi rendition="#g">Leonore</hi>.</speaker><lb/> <p>In dieſer ruhigen Betrachtung find’ ich dich<lb/> Schon ganz, mein theurer Freund, mit Freu-<lb/> den wieder.</p> </sp><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [128/0136]
Torquato Taſſo
Leonore.
Du haſt um fremde Menſchen dich ſo lang’
Bemüht und dich nach ihrem Sinn gerichtet:
Nun, da du deine Freunde wieder ſiehſt,
Verkennſt du ſie, und rechteſt wie mit Fremden.
Antonio.
Da liegt, geliebte Freundinn, die Gefahr!
Mit fremden Menſchen nimmt man ſich zu-
ſammen,
Da merkt man auf, da ſucht man ſeinen Zweck
In ihrer Gunſt, damit ſie nutzen ſollen.
Allein bey Freunden läßt man frey ſich gehn,
Man ruht in ihrer Liebe, man erlaubt
Sich eine Laune, ungezähmter wirkt
Die Leidenſchaft, und ſo verletzen wir
Am erſten die, die wir am zärtſten lieben.
Leonore.
In dieſer ruhigen Betrachtung find’ ich dich
Schon ganz, mein theurer Freund, mit Freu-
den wieder.
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