Goethe, Johann Wolfgang von: Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären. Gotha, 1790.wir in diesen lezteren Zeiten immer mehr haben zunehmen sehn. Bey andern Pflanzen ist die Anzahl und Bildung dieser Theile nicht gleich beständig, aber auch dieser Unbestand hat die scharfe Beobachtungsgabe der Meister dieser Wissenschaft nicht hintergehen können; sondern sie haben durch genaue Bestimmungen auch diese Abweichungen der Natur gleichsam in einen engern Kreis einzuschliessen gesucht. §. 38. Auf diese Weise bildete also die Natur den wir in dieſen lezteren Zeiten immer mehr haben zunehmen ſehn. Bey andern Pflanzen iſt die Anzahl und Bildung dieſer Theile nicht gleich beſtändig, aber auch dieſer Unbeſtand hat die ſcharfe Beobachtungsgabe der Meiſter dieſer Wiſſenſchaft nicht hintergehen können; ſondern ſie haben durch genaue Beſtimmungen auch dieſe Abweichungen der Natur gleichſam in einen engern Kreis einzuſchlieſsen geſucht. §. 38. Auf dieſe Weiſe bildete alſo die Natur den <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0040" n="25"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/> wir in dieſen lezteren Zeiten immer mehr haben<lb/> zunehmen ſehn. Bey andern Pflanzen iſt die<lb/> Anzahl und Bildung dieſer Theile nicht gleich<lb/> beſtändig, aber auch dieſer Unbeſtand hat die<lb/> ſcharfe Beobachtungsgabe der Meiſter dieſer<lb/> Wiſſenſchaft nicht hintergehen können; ſondern<lb/> ſie haben durch genaue Beſtimmungen auch dieſe<lb/> Abweichungen der Natur gleichſam in einen engern<lb/> Kreis einzuſchlieſsen geſucht.</p> </div><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#c">§. 38.</hi> </head><lb/> <p>Auf dieſe Weiſe bildete alſo die Natur den<lb/> Kelch; daſs ſie mehrere Blätter und folglich<lb/> mehrere Knoten, welche ſie ſonſt <hi rendition="#i">nach einander</hi>,<lb/> und in einiger Entfernung <hi rendition="#i">von einander</hi> hervorge-<lb/> bracht hätte, <hi rendition="#i">zuſammen</hi>, meiſt in einer gewiſſen<lb/> beſtimmten Zahl und Ordnung um Einen Mittel-<lb/> punct verbindet. Wäre durch zudringende über-<lb/> flüſſige Nahrung der Blüthenſtand verhindert<lb/> worden; ſo würden ſie alsdann aus einander<lb/> geruckt, und in ihrer erſten Geſtalt erſchienen<lb/> ſeyn. Die Natur bildet alſo im Kelch kein neues<lb/> Organ, ſondern ſie verbindet und modificirt nur<lb/> die uns ſchon bekannt gewordenen Organe, und<lb/> bereitet ſich dadurch eine Stufe näher zum Ziel.</p> </div> </div><lb/> </body> </text> </TEI> [25/0040]
wir in dieſen lezteren Zeiten immer mehr haben
zunehmen ſehn. Bey andern Pflanzen iſt die
Anzahl und Bildung dieſer Theile nicht gleich
beſtändig, aber auch dieſer Unbeſtand hat die
ſcharfe Beobachtungsgabe der Meiſter dieſer
Wiſſenſchaft nicht hintergehen können; ſondern
ſie haben durch genaue Beſtimmungen auch dieſe
Abweichungen der Natur gleichſam in einen engern
Kreis einzuſchlieſsen geſucht.
§. 38.
Auf dieſe Weiſe bildete alſo die Natur den
Kelch; daſs ſie mehrere Blätter und folglich
mehrere Knoten, welche ſie ſonſt nach einander,
und in einiger Entfernung von einander hervorge-
bracht hätte, zuſammen, meiſt in einer gewiſſen
beſtimmten Zahl und Ordnung um Einen Mittel-
punct verbindet. Wäre durch zudringende über-
flüſſige Nahrung der Blüthenſtand verhindert
worden; ſo würden ſie alsdann aus einander
geruckt, und in ihrer erſten Geſtalt erſchienen
ſeyn. Die Natur bildet alſo im Kelch kein neues
Organ, ſondern ſie verbindet und modificirt nur
die uns ſchon bekannt gewordenen Organe, und
bereitet ſich dadurch eine Stufe näher zum Ziel.
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Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären. Gotha, 1790, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_metamorphose_1790/40>, abgerufen am 16.07.2024. |