sorgte das Abendessen, und hatte des andern Morgens, wenn sie noch lange schliefen, schon ihre Garderobe in Ordnung gebracht, die sie des Abends gewöhnlich übereinander geworfen zurückließen.
Meiner Mutter schien diese Thätigkeit ganz recht zu seyn, aber ihre Neigung konnte ich nicht erwerben, sie verachtete mich, und ich weiß noch recht gut, daß sie mehr als einmal mit Bitterkeit wiederholte: wenn die Mutter so ungewis seyn könnte als der Va¬ ter, so würde man wohl schwerlich diese Magd für meine Tochter halten. Ich leug¬ nete nicht, daß ihr Betragen mich nach und nach ganz von ihr entfernte, ich betrachtete ihre Handlungen wie die Handlungen einer fremden Person, und da ich gewohnt war wie ein Falke das Gesinde zu beobachten, denn, im Vorbeygehen gesagt, darauf be¬ ruht eigentlich der Grund aller Haushaltung;
so
ſorgte das Abendeſſen, und hatte des andern Morgens, wenn ſie noch lange ſchliefen, ſchon ihre Garderobe in Ordnung gebracht, die ſie des Abends gewöhnlich übereinander geworfen zurückließen.
Meiner Mutter ſchien dieſe Thätigkeit ganz recht zu ſeyn, aber ihre Neigung konnte ich nicht erwerben, ſie verachtete mich, und ich weiß noch recht gut, daß ſie mehr als einmal mit Bitterkeit wiederholte: wenn die Mutter ſo ungewis ſeyn könnte als der Va¬ ter, ſo würde man wohl ſchwerlich dieſe Magd für meine Tochter halten. Ich leug¬ nete nicht, daß ihr Betragen mich nach und nach ganz von ihr entfernte, ich betrachtete ihre Handlungen wie die Handlungen einer fremden Perſon, und da ich gewohnt war wie ein Falke das Geſinde zu beobachten, denn, im Vorbeygehen geſagt, darauf be¬ ruht eigentlich der Grund aller Haushaltung;
ſo
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0084"n="80"/>ſorgte das Abendeſſen, und hatte des andern<lb/>
Morgens, wenn ſie noch lange ſchliefen,<lb/>ſchon ihre Garderobe in Ordnung gebracht,<lb/>
die ſie des Abends gewöhnlich übereinander<lb/>
geworfen zurückließen.</p><lb/><p>Meiner Mutter ſchien dieſe Thätigkeit<lb/>
ganz recht zu ſeyn, aber ihre Neigung konnte<lb/>
ich nicht erwerben, ſie verachtete mich, und<lb/>
ich weiß noch recht gut, daß ſie mehr als<lb/>
einmal mit Bitterkeit wiederholte: wenn die<lb/>
Mutter ſo ungewis ſeyn könnte als der Va¬<lb/>
ter, ſo würde man wohl ſchwerlich dieſe<lb/>
Magd für meine Tochter halten. Ich leug¬<lb/>
nete nicht, daß ihr Betragen mich nach und<lb/>
nach ganz von ihr entfernte, ich betrachtete<lb/>
ihre Handlungen wie die Handlungen einer<lb/>
fremden Perſon, und da ich gewohnt war<lb/>
wie ein Falke das Geſinde zu beobachten,<lb/>
denn, im Vorbeygehen geſagt, darauf be¬<lb/>
ruht eigentlich der Grund aller Haushaltung;<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſo<lb/></fw></p></div></div></div></body></text></TEI>
[80/0084]
ſorgte das Abendeſſen, und hatte des andern
Morgens, wenn ſie noch lange ſchliefen,
ſchon ihre Garderobe in Ordnung gebracht,
die ſie des Abends gewöhnlich übereinander
geworfen zurückließen.
Meiner Mutter ſchien dieſe Thätigkeit
ganz recht zu ſeyn, aber ihre Neigung konnte
ich nicht erwerben, ſie verachtete mich, und
ich weiß noch recht gut, daß ſie mehr als
einmal mit Bitterkeit wiederholte: wenn die
Mutter ſo ungewis ſeyn könnte als der Va¬
ter, ſo würde man wohl ſchwerlich dieſe
Magd für meine Tochter halten. Ich leug¬
nete nicht, daß ihr Betragen mich nach und
nach ganz von ihr entfernte, ich betrachtete
ihre Handlungen wie die Handlungen einer
fremden Perſon, und da ich gewohnt war
wie ein Falke das Geſinde zu beobachten,
denn, im Vorbeygehen geſagt, darauf be¬
ruht eigentlich der Grund aller Haushaltung;
ſo
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/84>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.