Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

so fielen mir natürlich auch die Verhältnisse
meiner Mutter und ihrer Gesellschaft auf.
Es ließ sich wohl bemerken, daß sie nicht
alle Männer mit ebendenselben Augen an¬
sah, ich gab schärfer acht, und bemerkte
bald, daß Lydie Vertraute war, und bey die¬
ser Gelegenheit selbst mit einer Leidenschaft
bekannter wurde, die sie von ihrer ersten
Jugend an so oft vorgestellt hatte. Ich
wußte alle ihre Zusammenkünfte, aber ich
schwieg, und sagte meinem Vater nichts,
den ich zu betrüben fürchtete, endlich aber
ward ich dazu genöthigt. Manches konnten
sie nicht unternehmen, ohne das Gesinde zu
bestechen. Dieses fing an mir zu trotzen, die
Anordnungen meines Vaters zu vernachläs¬
sigen und meine Befehle nicht zu vollziehen;
die Unordnungen, die daraus entstanden,
waren mir unerträglich, ich entdeckte, ich
klagte alles meinem Vater.

F

ſo fielen mir natürlich auch die Verhältniſſe
meiner Mutter und ihrer Geſellſchaft auf.
Es ließ ſich wohl bemerken, daß ſie nicht
alle Männer mit ebendenſelben Augen an¬
ſah, ich gab ſchärfer acht, und bemerkte
bald, daß Lydie Vertraute war, und bey die¬
ſer Gelegenheit ſelbſt mit einer Leidenſchaft
bekannter wurde, die ſie von ihrer erſten
Jugend an ſo oft vorgeſtellt hatte. Ich
wußte alle ihre Zuſammenkünfte, aber ich
ſchwieg, und ſagte meinem Vater nichts,
den ich zu betrüben fürchtete, endlich aber
ward ich dazu genöthigt. Manches konnten
ſie nicht unternehmen, ohne das Geſinde zu
beſtechen. Dieſes fing an mir zu trotzen, die
Anordnungen meines Vaters zu vernachläſ¬
ſigen und meine Befehle nicht zu vollziehen;
die Unordnungen, die daraus entſtanden,
waren mir unerträglich, ich entdeckte, ich
klagte alles meinem Vater.

F
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0085" n="81"/>
&#x017F;o fielen mir natürlich auch die Verhältni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
meiner Mutter und ihrer Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft auf.<lb/>
Es ließ &#x017F;ich wohl bemerken, daß &#x017F;ie nicht<lb/>
alle Männer mit ebenden&#x017F;elben Augen an¬<lb/>
&#x017F;ah, ich gab &#x017F;chärfer acht, und bemerkte<lb/>
bald, daß Lydie Vertraute war, und bey die¬<lb/>
&#x017F;er Gelegenheit &#x017F;elb&#x017F;t mit einer Leiden&#x017F;chaft<lb/>
bekannter wurde, die &#x017F;ie von ihrer er&#x017F;ten<lb/>
Jugend an &#x017F;o oft vorge&#x017F;tellt hatte. Ich<lb/>
wußte alle ihre Zu&#x017F;ammenkünfte, aber ich<lb/>
&#x017F;chwieg, und &#x017F;agte meinem Vater nichts,<lb/>
den ich zu betrüben fürchtete, endlich aber<lb/>
ward ich dazu genöthigt. Manches konnten<lb/>
&#x017F;ie nicht unternehmen, ohne das Ge&#x017F;inde zu<lb/>
be&#x017F;techen. Die&#x017F;es fing an mir zu trotzen, die<lb/>
Anordnungen meines Vaters zu vernachlä&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;igen und meine Befehle nicht zu vollziehen;<lb/>
die Unordnungen, die daraus ent&#x017F;tanden,<lb/>
waren mir unerträglich, ich entdeckte, ich<lb/>
klagte alles meinem Vater.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">F<lb/></fw>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[81/0085] ſo fielen mir natürlich auch die Verhältniſſe meiner Mutter und ihrer Geſellſchaft auf. Es ließ ſich wohl bemerken, daß ſie nicht alle Männer mit ebendenſelben Augen an¬ ſah, ich gab ſchärfer acht, und bemerkte bald, daß Lydie Vertraute war, und bey die¬ ſer Gelegenheit ſelbſt mit einer Leidenſchaft bekannter wurde, die ſie von ihrer erſten Jugend an ſo oft vorgeſtellt hatte. Ich wußte alle ihre Zuſammenkünfte, aber ich ſchwieg, und ſagte meinem Vater nichts, den ich zu betrüben fürchtete, endlich aber ward ich dazu genöthigt. Manches konnten ſie nicht unternehmen, ohne das Geſinde zu beſtechen. Dieſes fing an mir zu trotzen, die Anordnungen meines Vaters zu vernachläſ¬ ſigen und meine Befehle nicht zu vollziehen; die Unordnungen, die daraus entſtanden, waren mir unerträglich, ich entdeckte, ich klagte alles meinem Vater. F

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/85
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/85>, abgerufen am 17.05.2024.