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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

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Tuch auf, und fand das Kästchen leer. Sie
warf sich auf ihre Knie, man kam und hörte
ihr freudiges, inbrünstiges Gebet. Ja! es
ist wahr, rief sie aus, es war kein Traum,
es ist wirklich! freuet euch meine Freunde
mit mir, ich habe das gute, schöne Geschöpf
wieder lebendig gesehen. Es stand auf, und
warf den Schleyer von sich, sein Glanz er¬
leuchtete das Zimmer, seine Schönheit war
verklärt, es konnte den Boden nicht betre¬
ten, ob es gleich wollte. Leicht ward es
empor gehoben, und konnte mir nicht ein¬
mal seine Hand reichen. Da rief es mich
zu sich, und zeigte mir den Weg, den ich
gehen soll. Ich werde ihm folgen und bald
folgen, ich fühl es, und es wird mir so leicht
ums Herz. Mein Kummer ist verschwun¬
den, und schon das Anschauen meines wieder
Auferstandenen hat mir einen Vorschmack
der himmlischen Freude gegeben.

Tuch auf, und fand das Käſtchen leer. Sie
warf ſich auf ihre Knie, man kam und hörte
ihr freudiges, inbrünſtiges Gebet. Ja! es
iſt wahr, rief ſie aus, es war kein Traum,
es iſt wirklich! freuet euch meine Freunde
mit mir, ich habe das gute, ſchöne Geſchöpf
wieder lebendig geſehen. Es ſtand auf, und
warf den Schleyer von ſich, ſein Glanz er¬
leuchtete das Zimmer, ſeine Schönheit war
verklärt, es konnte den Boden nicht betre¬
ten, ob es gleich wollte. Leicht ward es
empor gehoben, und konnte mir nicht ein¬
mal ſeine Hand reichen. Da rief es mich
zu ſich, und zeigte mir den Weg, den ich
gehen ſoll. Ich werde ihm folgen und bald
folgen, ich fühl es, und es wird mir ſo leicht
ums Herz. Mein Kummer iſt verſchwun¬
den, und ſchon das Anſchauen meines wieder
Auferſtandenen hat mir einen Vorſchmack
der himmliſchen Freude gegeben.

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[457/0461] Tuch auf, und fand das Käſtchen leer. Sie warf ſich auf ihre Knie, man kam und hörte ihr freudiges, inbrünſtiges Gebet. Ja! es iſt wahr, rief ſie aus, es war kein Traum, es iſt wirklich! freuet euch meine Freunde mit mir, ich habe das gute, ſchöne Geſchöpf wieder lebendig geſehen. Es ſtand auf, und warf den Schleyer von ſich, ſein Glanz er¬ leuchtete das Zimmer, ſeine Schönheit war verklärt, es konnte den Boden nicht betre¬ ten, ob es gleich wollte. Leicht ward es empor gehoben, und konnte mir nicht ein¬ mal ſeine Hand reichen. Da rief es mich zu ſich, und zeigte mir den Weg, den ich gehen ſoll. Ich werde ihm folgen und bald folgen, ich fühl es, und es wird mir ſo leicht ums Herz. Mein Kummer iſt verſchwun¬ den, und ſchon das Anſchauen meines wieder Auferſtandenen hat mir einen Vorſchmack der himmliſchen Freude gegeben.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/461>, abgerufen am 06.06.2024.