hoffen hatte. Ich sollte den geistlichen Stand ergreifen, und der jüngste Soldat werden. Ich war lebhaft, feurig, thätig, schnell, zu allen körperlichen Übungen geschickt. Der jüngste schien zu einer Art von schwärmeri¬ scher Ruhe geneigter, den Wissenschaften, der Musik und der Dichtkunst ergeben. Nur nach dem härtsten Kampf, nach der völlig¬ sten Überzeugung der Unmöglichkeit gab der Vater, wiewohl mit Widerwillen, nach, daß wir unsern Beruf umtauschen dürften, und ob er gleich jeden von uns beyden zufrieden sah, so konnte er sich doch nicht drein fin¬ den, und versicherte, daß nichts gutes dar¬ aus entstehen werde. Je älter er ward, desto abgeschnittener fühlte er sich von aller Ge¬ sellschaft. Er lebte zuletzt fast ganz allein. Nur ein alter Freund, der unter den Deut¬ schen gedient, im Feldzuge seine Frau ver¬ lohren hatte, und eine Tochter mitbrachte,
hoffen hatte. Ich ſollte den geiſtlichen Stand ergreifen, und der jüngſte Soldat werden. Ich war lebhaft, feurig, thätig, ſchnell, zu allen körperlichen Übungen geſchickt. Der jüngſte ſchien zu einer Art von ſchwärmeri¬ ſcher Ruhe geneigter, den Wiſſenſchaften, der Muſik und der Dichtkunſt ergeben. Nur nach dem härtſten Kampf, nach der völlig¬ ſten Überzeugung der Unmöglichkeit gab der Vater, wiewohl mit Widerwillen, nach, daß wir unſern Beruf umtauſchen dürften, und ob er gleich jeden von uns beyden zufrieden ſah, ſo konnte er ſich doch nicht drein fin¬ den, und verſicherte, daß nichts gutes dar¬ aus entſtehen werde. Je älter er ward, deſto abgeſchnittener fühlte er ſich von aller Ge¬ ſellſchaft. Er lebte zuletzt faſt ganz allein. Nur ein alter Freund, der unter den Deut¬ ſchen gedient, im Feldzuge ſeine Frau ver¬ lohren hatte, und eine Tochter mitbrachte,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0433"n="429"/>
hoffen hatte. Ich ſollte den geiſtlichen Stand<lb/>
ergreifen, und der jüngſte Soldat werden.<lb/>
Ich war lebhaft, feurig, thätig, ſchnell, zu<lb/>
allen körperlichen Übungen geſchickt. Der<lb/>
jüngſte ſchien zu einer Art von ſchwärmeri¬<lb/>ſcher Ruhe geneigter, den Wiſſenſchaften,<lb/>
der Muſik und der Dichtkunſt ergeben. Nur<lb/>
nach dem härtſten Kampf, nach der völlig¬<lb/>ſten Überzeugung der Unmöglichkeit gab der<lb/>
Vater, wiewohl mit Widerwillen, nach, daß<lb/>
wir unſern Beruf umtauſchen dürften, und<lb/>
ob er gleich jeden von uns beyden zufrieden<lb/>ſah, ſo konnte er ſich doch nicht drein fin¬<lb/>
den, und verſicherte, daß nichts gutes dar¬<lb/>
aus entſtehen werde. Je älter er ward, deſto<lb/>
abgeſchnittener fühlte er ſich von aller Ge¬<lb/>ſellſchaft. Er lebte zuletzt faſt ganz allein.<lb/>
Nur ein alter Freund, der unter den Deut¬<lb/>ſchen gedient, im Feldzuge ſeine Frau ver¬<lb/>
lohren hatte, und eine Tochter mitbrachte,<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[429/0433]
hoffen hatte. Ich ſollte den geiſtlichen Stand
ergreifen, und der jüngſte Soldat werden.
Ich war lebhaft, feurig, thätig, ſchnell, zu
allen körperlichen Übungen geſchickt. Der
jüngſte ſchien zu einer Art von ſchwärmeri¬
ſcher Ruhe geneigter, den Wiſſenſchaften,
der Muſik und der Dichtkunſt ergeben. Nur
nach dem härtſten Kampf, nach der völlig¬
ſten Überzeugung der Unmöglichkeit gab der
Vater, wiewohl mit Widerwillen, nach, daß
wir unſern Beruf umtauſchen dürften, und
ob er gleich jeden von uns beyden zufrieden
ſah, ſo konnte er ſich doch nicht drein fin¬
den, und verſicherte, daß nichts gutes dar¬
aus entſtehen werde. Je älter er ward, deſto
abgeſchnittener fühlte er ſich von aller Ge¬
ſellſchaft. Er lebte zuletzt faſt ganz allein.
Nur ein alter Freund, der unter den Deut¬
ſchen gedient, im Feldzuge ſeine Frau ver¬
lohren hatte, und eine Tochter mitbrachte,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/433>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.