Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

nie zum Genuß gelangen, weil nichts auf
die Weise entstand, wie er sichs gedacht
hatte. Ich habe ihn in dem Augenblick, da
er einem Palast bauete, einen Garten an¬
legte, ein großes neues Gut in der schön¬
sten Lage erwarb, innerlich, mit dem ernste¬
sten Ingrimm überzeugt, gesehen, das Schick¬
sal habe ihn verdammt, enthaltsam zu seyn
und zu dulden. In seinem Äußerlichen be¬
obachtete er die größte Würde; wenn er
scherzte, zeigte er nur die Überlegenheit sei¬
nes Verstandes, es war ihm unerträglich ge¬
tadelt zu werden, und ich habe ihn nur ein¬
mal in meinem Leben ganz außer aller Fas¬
sung gesehen, da er hörte, daß man von
einer seiner Anstalten wie von etwas Lächer¬
lichem sprach. In eben diesem Geiste hatte
er über seine Kinder und sein Vermögen
disponirt. Mein ältester Bruder ward als ein
Mann erzogen, der künftig große Güter zu

nie zum Genuß gelangen, weil nichts auf
die Weiſe entſtand, wie er ſichs gedacht
hatte. Ich habe ihn in dem Augenblick, da
er einem Palaſt bauete, einen Garten an¬
legte, ein großes neues Gut in der ſchön¬
ſten Lage erwarb, innerlich, mit dem ernſte¬
ſten Ingrimm überzeugt, geſehen, das Schick¬
ſal habe ihn verdammt, enthaltſam zu ſeyn
und zu dulden. In ſeinem Äußerlichen be¬
obachtete er die größte Würde; wenn er
ſcherzte, zeigte er nur die Überlegenheit ſei¬
nes Verſtandes, es war ihm unerträglich ge¬
tadelt zu werden, und ich habe ihn nur ein¬
mal in meinem Leben ganz außer aller Faſ¬
ſung geſehen, da er hörte, daß man von
einer ſeiner Anſtalten wie von etwas Lächer¬
lichem ſprach. In eben dieſem Geiſte hatte
er über ſeine Kinder und ſein Vermögen
diſponirt. Mein älteſter Bruder ward als ein
Mann erzogen, der künftig große Güter zu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0432" n="428"/>
nie zum Genuß gelangen, weil nichts auf<lb/>
die Wei&#x017F;e ent&#x017F;tand, wie er &#x017F;ichs gedacht<lb/>
hatte. Ich habe ihn in dem Augenblick, da<lb/>
er einem Pala&#x017F;t bauete, einen Garten an¬<lb/>
legte, ein großes neues Gut in der &#x017F;chön¬<lb/>
&#x017F;ten Lage erwarb, innerlich, mit dem ern&#x017F;te¬<lb/>
&#x017F;ten Ingrimm überzeugt, ge&#x017F;ehen, das Schick¬<lb/>
&#x017F;al habe ihn verdammt, enthalt&#x017F;am zu &#x017F;eyn<lb/>
und zu dulden. In &#x017F;einem Äußerlichen be¬<lb/>
obachtete er die größte Würde; wenn er<lb/>
&#x017F;cherzte, zeigte er nur die Überlegenheit &#x017F;ei¬<lb/>
nes Ver&#x017F;tandes, es war ihm unerträglich ge¬<lb/>
tadelt zu werden, und ich habe ihn nur ein¬<lb/>
mal in meinem Leben ganz außer aller Fa&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;ung ge&#x017F;ehen, da er hörte, daß man von<lb/>
einer &#x017F;einer An&#x017F;talten wie von etwas Lächer¬<lb/>
lichem &#x017F;prach. In eben die&#x017F;em Gei&#x017F;te hatte<lb/>
er über &#x017F;eine Kinder und &#x017F;ein Vermögen<lb/>
di&#x017F;ponirt. Mein älte&#x017F;ter Bruder ward als ein<lb/>
Mann erzogen, der künftig große Güter zu<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[428/0432] nie zum Genuß gelangen, weil nichts auf die Weiſe entſtand, wie er ſichs gedacht hatte. Ich habe ihn in dem Augenblick, da er einem Palaſt bauete, einen Garten an¬ legte, ein großes neues Gut in der ſchön¬ ſten Lage erwarb, innerlich, mit dem ernſte¬ ſten Ingrimm überzeugt, geſehen, das Schick¬ ſal habe ihn verdammt, enthaltſam zu ſeyn und zu dulden. In ſeinem Äußerlichen be¬ obachtete er die größte Würde; wenn er ſcherzte, zeigte er nur die Überlegenheit ſei¬ nes Verſtandes, es war ihm unerträglich ge¬ tadelt zu werden, und ich habe ihn nur ein¬ mal in meinem Leben ganz außer aller Faſ¬ ſung geſehen, da er hörte, daß man von einer ſeiner Anſtalten wie von etwas Lächer¬ lichem ſprach. In eben dieſem Geiſte hatte er über ſeine Kinder und ſein Vermögen diſponirt. Mein älteſter Bruder ward als ein Mann erzogen, der künftig große Güter zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/432
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/432>, abgerufen am 26.11.2024.