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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

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dieses gute, gegen die Menschen so verschlos¬
sene Herz, beständig zu seinem Gott gewen¬
det. Die Demuth, ja eine Neigung sich äußer¬
lich zu erniedrigen, schien ihm angebohren.
Mit Eifer hing es an der katholischen Reli¬
gion, in der es gebohren und erzogen war.
Oft äußerte sie den stillen Wunsch, auf ge¬
weihtem Boden zu ruhen, und wir haben
nach den Gebräuchen der Kirche dieses mar¬
morne Behältniß und die wenige Erde ge¬
weihet, die in ihrem Kopfkissen verborgen
ist. Mit welcher Inbrunst küßte sie in ih¬
ren letzten Augenblicken das Bild des Ge¬
kreuzigten, das auf ihren zarten Armen mit
vielen hundert Punkten sehr zierlich abgebil¬
det steht. Er streifte zugleich, indem er das
sagte, ihren rechten Arm auf, und ein Cru¬
zifix, von verschiedenen Buchstaben und Zei¬
chen begleitet, sah man blaulich auf der
weißen Haut.

dieſes gute, gegen die Menſchen ſo verſchloſ¬
ſene Herz, beſtändig zu ſeinem Gott gewen¬
det. Die Demuth, ja eine Neigung ſich äußer¬
lich zu erniedrigen, ſchien ihm angebohren.
Mit Eifer hing es an der katholiſchen Reli¬
gion, in der es gebohren und erzogen war.
Oft äußerte ſie den ſtillen Wunſch, auf ge¬
weihtem Boden zu ruhen, und wir haben
nach den Gebräuchen der Kirche dieſes mar¬
morne Behältniß und die wenige Erde ge¬
weihet, die in ihrem Kopfkiſſen verborgen
iſt. Mit welcher Inbrunſt küßte ſie in ih¬
ren letzten Augenblicken das Bild des Ge¬
kreuzigten, das auf ihren zarten Armen mit
vielen hundert Punkten ſehr zierlich abgebil¬
det ſteht. Er ſtreifte zugleich, indem er das
ſagte, ihren rechten Arm auf, und ein Cru¬
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weißen Haut.

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[420/0424] dieſes gute, gegen die Menſchen ſo verſchloſ¬ ſene Herz, beſtändig zu ſeinem Gott gewen¬ det. Die Demuth, ja eine Neigung ſich äußer¬ lich zu erniedrigen, ſchien ihm angebohren. Mit Eifer hing es an der katholiſchen Reli¬ gion, in der es gebohren und erzogen war. Oft äußerte ſie den ſtillen Wunſch, auf ge¬ weihtem Boden zu ruhen, und wir haben nach den Gebräuchen der Kirche dieſes mar¬ morne Behältniß und die wenige Erde ge¬ weihet, die in ihrem Kopfkiſſen verborgen iſt. Mit welcher Inbrunſt küßte ſie in ih¬ ren letzten Augenblicken das Bild des Ge¬ kreuzigten, das auf ihren zarten Armen mit vielen hundert Punkten ſehr zierlich abgebil¬ det ſteht. Er ſtreifte zugleich, indem er das ſagte, ihren rechten Arm auf, und ein Cru¬ zifix, von verſchiedenen Buchſtaben und Zei¬ chen begleitet, ſah man blaulich auf der weißen Haut.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/424>, abgerufen am 22.11.2024.