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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

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ist nichts schändlichers in der Welt, als sich
auf Lügen und Mährchen einzurichten! schon
hast Du viel Böses damit gestiftet, und jetzt,
da Dein Wort das Glück meines Lebens ent¬
scheiden könnte, jetzt steh ich zweifelhaft, und
wage nicht das Kind in meine Arme zu
schließen, dessen ungetrübter Besitz mich
äußerst glücklich machen würde. Ich kann
Dich, schändliche Kreatur, nicht ohne Haß
und Verachtung ansehen.

Euer Betragen kommt mir, wenn ich auf¬
richtig reden soll, versetzte die Alte, ganz
unerträglich vor. Und wenns nun Euer
Sohn nicht wäre, so ist es das schönste, an¬
genehmste Kind von der Welt, das man
gern für jeden Preis kaufen möchte, um es
nur immer um sich zu haben. Ist es nicht
werth, daß Ihr Euch seiner annehmt? ver¬
diene ich für meine Sorgfalt, für meine
Mühe mit ihm, nicht einen kleinen Unter¬

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iſt nichts ſchändlichers in der Welt, als ſich
auf Lügen und Mährchen einzurichten! ſchon
haſt Du viel Böſes damit geſtiftet, und jetzt,
da Dein Wort das Glück meines Lebens ent¬
ſcheiden könnte, jetzt ſteh ich zweifelhaft, und
wage nicht das Kind in meine Arme zu
ſchließen, deſſen ungetrübter Beſitz mich
äußerſt glücklich machen würde. Ich kann
Dich, ſchändliche Kreatur, nicht ohne Haß
und Verachtung anſehen.

Euer Betragen kommt mir, wenn ich auf¬
richtig reden ſoll, verſetzte die Alte, ganz
unerträglich vor. Und wenns nun Euer
Sohn nicht wäre, ſo iſt es das ſchönſte, an¬
genehmſte Kind von der Welt, das man
gern für jeden Preis kaufen möchte, um es
nur immer um ſich zu haben. Iſt es nicht
werth, daß Ihr Euch ſeiner annehmt? ver¬
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[179/0183] iſt nichts ſchändlichers in der Welt, als ſich auf Lügen und Mährchen einzurichten! ſchon haſt Du viel Böſes damit geſtiftet, und jetzt, da Dein Wort das Glück meines Lebens ent¬ ſcheiden könnte, jetzt ſteh ich zweifelhaft, und wage nicht das Kind in meine Arme zu ſchließen, deſſen ungetrübter Beſitz mich äußerſt glücklich machen würde. Ich kann Dich, ſchändliche Kreatur, nicht ohne Haß und Verachtung anſehen. Euer Betragen kommt mir, wenn ich auf¬ richtig reden ſoll, verſetzte die Alte, ganz unerträglich vor. Und wenns nun Euer Sohn nicht wäre, ſo iſt es das ſchönſte, an¬ genehmſte Kind von der Welt, das man gern für jeden Preis kaufen möchte, um es nur immer um ſich zu haben. Iſt es nicht werth, daß Ihr Euch ſeiner annehmt? ver¬ diene ich für meine Sorgfalt, für meine Mühe mit ihm, nicht einen kleinen Unter¬ M 2

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/183>, abgerufen am 23.11.2024.