Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

halt für mein künftiges Leben? O! ihr Her¬
ren, denen nichts abgeht, ihr habt gut von
Wahrheit und Gradheit reden; aber wie eine
arme Kreatur, deren geringstem Bedürfniß
nichts entgegen kommt, die in ihren Verle¬
genheiten keinen Freund, keinen Rath, keine
Hülfe sieht, wie die sich durch die selbstischen
Menschen durchdrücken, und im Stillen dar¬
ben muß -- davon würde manches zu sagen
seyn, wenn ihr hören wolltet und könntet.
Haben Sie Marianens Briefe gelesen? es
sind dieselbigen, die sie zu jener unglücklichen
Zeit schrieb. Vergebens suchte ich mich Ih¬
nen zu nähern, vergebens Ihnen diese Blät¬
ter zuzustellen, Ihr grausamer Schwager
hatte Sie so umlagert, daß alle List und
Klugheit vergebens war, und zuletzt, als er
mir und Marianen mit dem Gefängniß droh¬
te, mußte ich wohl alle Hoffnung aufgeben.
Trifft nicht alles mit dem überein, was ich

halt für mein künftiges Leben? O! ihr Her¬
ren, denen nichts abgeht, ihr habt gut von
Wahrheit und Gradheit reden; aber wie eine
arme Kreatur, deren geringſtem Bedürfniß
nichts entgegen kommt, die in ihren Verle¬
genheiten keinen Freund, keinen Rath, keine
Hülfe ſieht, wie die ſich durch die ſelbſtiſchen
Menſchen durchdrücken, und im Stillen dar¬
ben muß — davon würde manches zu ſagen
ſeyn, wenn ihr hören wolltet und könntet.
Haben Sie Marianens Briefe geleſen? es
ſind dieſelbigen, die ſie zu jener unglücklichen
Zeit ſchrieb. Vergebens ſuchte ich mich Ih¬
nen zu nähern, vergebens Ihnen dieſe Blät¬
ter zuzuſtellen, Ihr grauſamer Schwager
hatte Sie ſo umlagert, daß alle Liſt und
Klugheit vergebens war, und zuletzt, als er
mir und Marianen mit dem Gefängniß droh¬
te, mußte ich wohl alle Hoffnung aufgeben.
Trifft nicht alles mit dem überein, was ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0184" n="180"/>
halt für mein künftiges Leben? O! ihr Her¬<lb/>
ren, denen nichts abgeht, ihr habt gut von<lb/>
Wahrheit und Gradheit reden; aber wie eine<lb/>
arme Kreatur, deren gering&#x017F;tem Bedürfniß<lb/>
nichts entgegen kommt, die in ihren Verle¬<lb/>
genheiten keinen Freund, keinen Rath, keine<lb/>
Hülfe &#x017F;ieht, wie die &#x017F;ich durch die &#x017F;elb&#x017F;ti&#x017F;chen<lb/>
Men&#x017F;chen durchdrücken, und im Stillen dar¬<lb/>
ben muß &#x2014; davon würde manches zu &#x017F;agen<lb/>
&#x017F;eyn, wenn ihr hören wolltet und könntet.<lb/>
Haben Sie Marianens Briefe gele&#x017F;en? es<lb/>
&#x017F;ind die&#x017F;elbigen, die &#x017F;ie zu jener unglücklichen<lb/>
Zeit &#x017F;chrieb. Vergebens &#x017F;uchte ich mich Ih¬<lb/>
nen zu nähern, vergebens Ihnen die&#x017F;e Blät¬<lb/>
ter zuzu&#x017F;tellen, Ihr grau&#x017F;amer Schwager<lb/>
hatte Sie &#x017F;o umlagert, daß alle Li&#x017F;t und<lb/>
Klugheit vergebens war, und zuletzt, als er<lb/>
mir und Marianen mit dem Gefängniß droh¬<lb/>
te, mußte ich wohl alle Hoffnung aufgeben.<lb/>
Trifft nicht alles mit dem überein, was ich<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[180/0184] halt für mein künftiges Leben? O! ihr Her¬ ren, denen nichts abgeht, ihr habt gut von Wahrheit und Gradheit reden; aber wie eine arme Kreatur, deren geringſtem Bedürfniß nichts entgegen kommt, die in ihren Verle¬ genheiten keinen Freund, keinen Rath, keine Hülfe ſieht, wie die ſich durch die ſelbſtiſchen Menſchen durchdrücken, und im Stillen dar¬ ben muß — davon würde manches zu ſagen ſeyn, wenn ihr hören wolltet und könntet. Haben Sie Marianens Briefe geleſen? es ſind dieſelbigen, die ſie zu jener unglücklichen Zeit ſchrieb. Vergebens ſuchte ich mich Ih¬ nen zu nähern, vergebens Ihnen dieſe Blät¬ ter zuzuſtellen, Ihr grauſamer Schwager hatte Sie ſo umlagert, daß alle Liſt und Klugheit vergebens war, und zuletzt, als er mir und Marianen mit dem Gefängniß droh¬ te, mußte ich wohl alle Hoffnung aufgeben. Trifft nicht alles mit dem überein, was ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/184
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/184>, abgerufen am 23.11.2024.