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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

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Lassen Sie sich nicht irren, fuhr Madame
Melina fort, daß ich einige Zweifel, ob Ih¬
nen der Knabe wirklich zugehöre, leichtsinnig
geäußert habe. Der Alten ist freylich wenig
zu trauen, doch kann eins, das Unwahrheit
zu seinem Nutzen ersinnt, auch einmal wahr
reden, wenn es die Wahrheiten nützlich fin¬
det. Aurelien hatte die Alte vorgespiegelt,
Felix sey ein Sohn Lothario's, und die Ei¬
genheit haben wir Weiber, daß wir die Kin¬
der unserer Liebhaber recht herzlich lieben,
wenn wir schon die Mutter nicht kennen,
oder sie von Herzen hassen. Felix kam her¬
ein gesprungen, sie drückte ihn an sich, mit
einer Lebhaftigkeit, die ihr sonst nicht ge¬
wöhnlich war.

Wilhelm eilte nach Hause, und bestellte
die Alte, die ihn, jedoch nicht eher als in
der Dämmerung, zu besuchen versprach; er em¬
pfing sie verdrießlich, und sagte zu ihr: Es

Laſſen Sie ſich nicht irren, fuhr Madame
Melina fort, daß ich einige Zweifel, ob Ih¬
nen der Knabe wirklich zugehöre, leichtſinnig
geäußert habe. Der Alten iſt freylich wenig
zu trauen, doch kann eins, das Unwahrheit
zu ſeinem Nutzen erſinnt, auch einmal wahr
reden, wenn es die Wahrheiten nützlich fin¬
det. Aurelien hatte die Alte vorgeſpiegelt,
Felix ſey ein Sohn Lothario’s, und die Ei¬
genheit haben wir Weiber, daß wir die Kin¬
der unſerer Liebhaber recht herzlich lieben,
wenn wir ſchon die Mutter nicht kennen,
oder ſie von Herzen haſſen. Felix kam her¬
ein geſprungen, ſie drückte ihn an ſich, mit
einer Lebhaftigkeit, die ihr ſonst nicht ge¬
wöhnlich war.

Wilhelm eilte nach Hauſe, und beſtellte
die Alte, die ihn, jedoch nicht eher als in
der Dämmerung, zu beſuchen verſprach; er em¬
pfing ſie verdrießlich, und ſagte zu ihr: Es

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[178/0182] Laſſen Sie ſich nicht irren, fuhr Madame Melina fort, daß ich einige Zweifel, ob Ih¬ nen der Knabe wirklich zugehöre, leichtſinnig geäußert habe. Der Alten iſt freylich wenig zu trauen, doch kann eins, das Unwahrheit zu ſeinem Nutzen erſinnt, auch einmal wahr reden, wenn es die Wahrheiten nützlich fin¬ det. Aurelien hatte die Alte vorgeſpiegelt, Felix ſey ein Sohn Lothario’s, und die Ei¬ genheit haben wir Weiber, daß wir die Kin¬ der unſerer Liebhaber recht herzlich lieben, wenn wir ſchon die Mutter nicht kennen, oder ſie von Herzen haſſen. Felix kam her¬ ein geſprungen, ſie drückte ihn an ſich, mit einer Lebhaftigkeit, die ihr ſonst nicht ge¬ wöhnlich war. Wilhelm eilte nach Hauſe, und beſtellte die Alte, die ihn, jedoch nicht eher als in der Dämmerung, zu beſuchen verſprach; er em¬ pfing ſie verdrießlich, und ſagte zu ihr: Es

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/182>, abgerufen am 23.11.2024.