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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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die Waare und das Geld nicht zugleich ha¬
ben! und der ist eben so übel daran, dem
es immer nach der Waare gelüstet, ohne daß
er das Herz hat das Geld hinzugeben, als
der, den der Kauf reut, wenn er die Waare
in Händen hat. Aber ich bin weit entfernt,
die Menschen deshalb zu tadeln, denn sie
sind eigentlich nicht Schuld, sondern die ver¬
wickelte Lage, in der sie sich befinden, und
in der sie sich nicht zu regieren wissen. So
werden Sie, zum Beyspiel, im Durchschnitt,
weniger üble Wirthe auf dem Lande als in
den Städten finden, und wieder in kleinen
Städten weniger als in großen, und warum?
Der Mensch ist zu einer beschränkten Lage
gebohren, einfache, nahe, bestimmte Zwecke,
vermag er einzusehen, und er gewöhnt sich
die Mittel zu benutzen, die ihm gleich zur
Hand sind; sobald er aber ins weite kommt,
weiß er weder was er will, noch was er soll,

die Waare und das Geld nicht zugleich ha¬
ben! und der iſt eben ſo übel daran, dem
es immer nach der Waare gelüſtet, ohne daß
er das Herz hat das Geld hinzugeben, als
der, den der Kauf reut, wenn er die Waare
in Händen hat. Aber ich bin weit entfernt,
die Menſchen deshalb zu tadeln, denn ſie
ſind eigentlich nicht Schuld, ſondern die ver¬
wickelte Lage, in der ſie ſich befinden, und
in der ſie ſich nicht zu regieren wiſſen. So
werden Sie, zum Beyſpiel, im Durchſchnitt,
weniger üble Wirthe auf dem Lande als in
den Städten finden, und wieder in kleinen
Städten weniger als in großen, und warum?
Der Menſch iſt zu einer beſchränkten Lage
gebohren, einfache, nahe, beſtimmte Zwecke,
vermag er einzuſehen, und er gewöhnt ſich
die Mittel zu benutzen, die ihm gleich zur
Hand ſind; ſobald er aber ins weite kommt,
weiß er weder was er will, noch was er ſoll,

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[334/0340] die Waare und das Geld nicht zugleich ha¬ ben! und der iſt eben ſo übel daran, dem es immer nach der Waare gelüſtet, ohne daß er das Herz hat das Geld hinzugeben, als der, den der Kauf reut, wenn er die Waare in Händen hat. Aber ich bin weit entfernt, die Menſchen deshalb zu tadeln, denn ſie ſind eigentlich nicht Schuld, ſondern die ver¬ wickelte Lage, in der ſie ſich befinden, und in der ſie ſich nicht zu regieren wiſſen. So werden Sie, zum Beyſpiel, im Durchſchnitt, weniger üble Wirthe auf dem Lande als in den Städten finden, und wieder in kleinen Städten weniger als in großen, und warum? Der Menſch iſt zu einer beſchränkten Lage gebohren, einfache, nahe, beſtimmte Zwecke, vermag er einzuſehen, und er gewöhnt ſich die Mittel zu benutzen, die ihm gleich zur Hand ſind; ſobald er aber ins weite kommt, weiß er weder was er will, noch was er ſoll,

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/340>, abgerufen am 26.05.2024.