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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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und es ist ganz einerley, ob er durch die
Menge der Gegenstände zerstreut, oder ob
er durch die Höhe und Würde derselben au¬
ßer sich gesetzt werde. Es ist immer sein Un¬
glück, wenn er veranlaßt wird, nach etwas
zu streben, mit dem er sich durch eine regel¬
mäßige Selbstthätigkeit nicht verbinden kann.

Fürwahr, fuhr er fort, ohne Ernst ist in
der Welt nichts möglich, und unter denen,
die wir gebildete Menschen nennen, ist eigent¬
lich wenig Ernst zu finden, sie gehen, ich
möchte sagen, gegen Arbeiten und Geschäfte,
gegen Künste, ja gegen Vergnügungen nur
mit einer Art von Selbstvertheidigung zu
Werke, man lebt wie man ein Pack Zeitun¬
gen liest, nur damit man sie los werde, und
es fällt mir dabey jener junge Engländer in
Rom ein, der Abends, in einer Gesellschaft,
sehr zufrieden erzählte: daß er doch heute
sechs Kirchen und zwey Gallerien bey Seite

und es iſt ganz einerley, ob er durch die
Menge der Gegenſtände zerſtreut, oder ob
er durch die Höhe und Würde derſelben au¬
ßer ſich geſetzt werde. Es iſt immer ſein Un¬
glück, wenn er veranlaßt wird, nach etwas
zu ſtreben, mit dem er ſich durch eine regel¬
mäßige Selbſtthätigkeit nicht verbinden kann.

Fürwahr, fuhr er fort, ohne Ernſt iſt in
der Welt nichts möglich, und unter denen,
die wir gebildete Menſchen nennen, iſt eigent¬
lich wenig Ernſt zu finden, ſie gehen, ich
möchte ſagen, gegen Arbeiten und Geſchäfte,
gegen Künſte, ja gegen Vergnügungen nur
mit einer Art von Selbſtvertheidigung zu
Werke, man lebt wie man ein Pack Zeitun¬
gen lieſt, nur damit man ſie los werde, und
es fällt mir dabey jener junge Engländer in
Rom ein, der Abends, in einer Geſellſchaft,
ſehr zufrieden erzählte: daß er doch heute
ſechs Kirchen und zwey Gallerien bey Seite

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[335/0341] und es iſt ganz einerley, ob er durch die Menge der Gegenſtände zerſtreut, oder ob er durch die Höhe und Würde derſelben au¬ ßer ſich geſetzt werde. Es iſt immer ſein Un¬ glück, wenn er veranlaßt wird, nach etwas zu ſtreben, mit dem er ſich durch eine regel¬ mäßige Selbſtthätigkeit nicht verbinden kann. Fürwahr, fuhr er fort, ohne Ernſt iſt in der Welt nichts möglich, und unter denen, die wir gebildete Menſchen nennen, iſt eigent¬ lich wenig Ernſt zu finden, ſie gehen, ich möchte ſagen, gegen Arbeiten und Geſchäfte, gegen Künſte, ja gegen Vergnügungen nur mit einer Art von Selbſtvertheidigung zu Werke, man lebt wie man ein Pack Zeitun¬ gen lieſt, nur damit man ſie los werde, und es fällt mir dabey jener junge Engländer in Rom ein, der Abends, in einer Geſellſchaft, ſehr zufrieden erzählte: daß er doch heute ſechs Kirchen und zwey Gallerien bey Seite

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/341>, abgerufen am 26.05.2024.