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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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angenommen, und auf ihre Art und Weise
sich eine Zeitlang auf der Welt befunden
habe; so muß uns dieses Geschöpf schon un¬
endlich vollkommen erscheinen, weil sich der
Schöpfer so innig damit vereinigen konnte.
Es muß also in dem Begriff des Menschen
kein Widerspruch mit dem Begriff der Gott¬
heit liegen, und wenn wir auch oft eine ge¬
wisse Unähnlichkeit und Entfernung von ihr
empfinden, so ist es doch um desto mehr un¬
sere Schuldigkeit, nicht immer wie der Ad¬
vokat des bösen Geistes nur auf die Blößen
und Schwächen unserer Natur zu sehen,
sondern eher alle Vollkommenheiten aufzusu¬
chen, wodurch wir die Ansprüche unsrer Gott¬
ähnlichkeit bestätigen können.

Ich lächelte und versetzte: beschämen Sie
mich nicht zu sehr, lieber Oheim, durch die
Gefälligkeit in meiner Sprache zu reden!
Das was Sie mir zu sagen haben, ist für

angenommen, und auf ihre Art und Weiſe
ſich eine Zeitlang auf der Welt befunden
habe; ſo muß uns dieſes Geſchöpf ſchon un¬
endlich vollkommen erſcheinen, weil ſich der
Schöpfer ſo innig damit vereinigen konnte.
Es muß alſo in dem Begriff des Menſchen
kein Widerſpruch mit dem Begriff der Gott¬
heit liegen, und wenn wir auch oft eine ge¬
wiſſe Unähnlichkeit und Entfernung von ihr
empfinden, ſo iſt es doch um deſto mehr un¬
ſere Schuldigkeit, nicht immer wie der Ad¬
vokat des böſen Geiſtes nur auf die Blößen
und Schwächen unſerer Natur zu ſehen,
ſondern eher alle Vollkommenheiten aufzuſu¬
chen, wodurch wir die Anſprüche unſrer Gott¬
ähnlichkeit beſtätigen können.

Ich lächelte und verſetzte: beſchämen Sie
mich nicht zu ſehr, lieber Oheim, durch die
Gefälligkeit in meiner Sprache zu reden!
Das was Sie mir zu ſagen haben, iſt für

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[329/0335] angenommen, und auf ihre Art und Weiſe ſich eine Zeitlang auf der Welt befunden habe; ſo muß uns dieſes Geſchöpf ſchon un¬ endlich vollkommen erſcheinen, weil ſich der Schöpfer ſo innig damit vereinigen konnte. Es muß alſo in dem Begriff des Menſchen kein Widerſpruch mit dem Begriff der Gott¬ heit liegen, und wenn wir auch oft eine ge¬ wiſſe Unähnlichkeit und Entfernung von ihr empfinden, ſo iſt es doch um deſto mehr un¬ ſere Schuldigkeit, nicht immer wie der Ad¬ vokat des böſen Geiſtes nur auf die Blößen und Schwächen unſerer Natur zu ſehen, ſondern eher alle Vollkommenheiten aufzuſu¬ chen, wodurch wir die Anſprüche unſrer Gott¬ ähnlichkeit beſtätigen können. Ich lächelte und verſetzte: beſchämen Sie mich nicht zu ſehr, lieber Oheim, durch die Gefälligkeit in meiner Sprache zu reden! Das was Sie mir zu ſagen haben, iſt für

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/335>, abgerufen am 19.05.2024.