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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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Nachtigall und einem vierstimmigen Halle¬
lujah aus gefühlvollen Menschenkehlen zu
meiner größten Verwunderung erst kennen.

Ich verbarg meine Freude über diese
neue Anschauung meinem Oheim nicht, der,
wenn alles andere in sein Theil gegangen
war, sich mit mir besonders zu unterhalten
pflegte. Er sprach mit großer Bescheidenheit
von dem, was er besaß und hervorgebracht
hatte, mit großer Sicherheit von dem Sin¬
ne, in dem es gesammlet und aufgestellt wor¬
den war, und ich konnte wohl merken, daß
er mit Schonung für mich redete, indem er
nach seiner alten Art das Gute, wovon er
Herr und Meister zu seyn glaubte, demjeni¬
gen unterzuordnen schien, was nach meiner
Überzeugung das rechte und beste war.

Wenn wir uns, sagte er einmal, als
möglich denken können, daß der Schöpfer
der Welt selbst die Gestalt seiner Creatur

Nachtigall und einem vierſtimmigen Halle¬
lujah aus gefühlvollen Menſchenkehlen zu
meiner größten Verwunderung erſt kennen.

Ich verbarg meine Freude über dieſe
neue Anſchauung meinem Oheim nicht, der,
wenn alles andere in ſein Theil gegangen
war, ſich mit mir beſonders zu unterhalten
pflegte. Er ſprach mit großer Beſcheidenheit
von dem, was er beſaß und hervorgebracht
hatte, mit großer Sicherheit von dem Sin¬
ne, in dem es geſammlet und aufgeſtellt wor¬
den war, und ich konnte wohl merken, daß
er mit Schonung für mich redete, indem er
nach ſeiner alten Art das Gute, wovon er
Herr und Meiſter zu ſeyn glaubte, demjeni¬
gen unterzuordnen ſchien, was nach meiner
Überzeugung das rechte und beſte war.

Wenn wir uns, ſagte er einmal, als
möglich denken können, daß der Schöpfer
der Welt ſelbſt die Geſtalt ſeiner Creatur

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[328/0334] Nachtigall und einem vierſtimmigen Halle¬ lujah aus gefühlvollen Menſchenkehlen zu meiner größten Verwunderung erſt kennen. Ich verbarg meine Freude über dieſe neue Anſchauung meinem Oheim nicht, der, wenn alles andere in ſein Theil gegangen war, ſich mit mir beſonders zu unterhalten pflegte. Er ſprach mit großer Beſcheidenheit von dem, was er beſaß und hervorgebracht hatte, mit großer Sicherheit von dem Sin¬ ne, in dem es geſammlet und aufgeſtellt wor¬ den war, und ich konnte wohl merken, daß er mit Schonung für mich redete, indem er nach ſeiner alten Art das Gute, wovon er Herr und Meiſter zu ſeyn glaubte, demjeni¬ gen unterzuordnen ſchien, was nach meiner Überzeugung das rechte und beſte war. Wenn wir uns, ſagte er einmal, als möglich denken können, daß der Schöpfer der Welt ſelbſt die Geſtalt ſeiner Creatur

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/334>, abgerufen am 26.05.2024.