Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

Menschen. Wie doppelt angenehm ist es
uns also, wenn aus einer menschlichen Woh¬
nung uns der Geist einer höhern, obgleich
auch nur sinnlichen, Kultur entgegen spricht!

Mit vieler Lebhaftigkeit ward mir dieses
auf dem Schlosse meines Oheims anschau¬
lich. Ich hatte vieles von Kunst gehört und
gelesen, Philo selbst war ein großer Liebha¬
ber von Gemälden, und hatte eine schöne
Sammlung; auch ich selbst hatte viel ge¬
zeichnet; aber theils war ich zu sehr mit
meinen Empfindungen beschäftigt, und trach¬
tete nur das eine, was Noth ist, erst recht
ins Reine zu bringen, theils schienen doch
alle die Sachen, die ich gesehen hatte, mich
wie die übrigen weltlichen Dinge zu zer¬
streuen. Nun war ich zum erstenmal durch
etwas Äußerliches auf mich selbst zurück ge¬
führt, und ich lernte den Unterschied zwischen
dem natürlichen vortreflichen Gesang der

Menſchen. Wie doppelt angenehm iſt es
uns alſo, wenn aus einer menſchlichen Woh¬
nung uns der Geiſt einer höhern, obgleich
auch nur ſinnlichen, Kultur entgegen ſpricht!

Mit vieler Lebhaftigkeit ward mir dieſes
auf dem Schloſſe meines Oheims anſchau¬
lich. Ich hatte vieles von Kunſt gehört und
geleſen, Philo ſelbſt war ein großer Liebha¬
ber von Gemälden, und hatte eine ſchöne
Sammlung; auch ich ſelbſt hatte viel ge¬
zeichnet; aber theils war ich zu ſehr mit
meinen Empfindungen beſchäftigt, und trach¬
tete nur das eine, was Noth iſt, erſt recht
ins Reine zu bringen, theils ſchienen doch
alle die Sachen, die ich geſehen hatte, mich
wie die übrigen weltlichen Dinge zu zer¬
ſtreuen. Nun war ich zum erſtenmal durch
etwas Äußerliches auf mich ſelbſt zurück ge¬
führt, und ich lernte den Unterſchied zwiſchen
dem natürlichen vortreflichen Geſang der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0333" n="327"/>
Men&#x017F;chen. Wie doppelt angenehm i&#x017F;t es<lb/>
uns al&#x017F;o, wenn aus einer men&#x017F;chlichen Woh¬<lb/>
nung uns der Gei&#x017F;t einer höhern, obgleich<lb/>
auch nur &#x017F;innlichen, Kultur entgegen &#x017F;pricht!<lb/></p>
            <p>Mit vieler Lebhaftigkeit ward mir die&#x017F;es<lb/>
auf dem Schlo&#x017F;&#x017F;e meines Oheims an&#x017F;chau¬<lb/>
lich. Ich hatte vieles von Kun&#x017F;t gehört und<lb/>
gele&#x017F;en, Philo &#x017F;elb&#x017F;t war ein großer Liebha¬<lb/>
ber von Gemälden, und hatte eine &#x017F;chöne<lb/>
Sammlung; auch ich &#x017F;elb&#x017F;t hatte viel ge¬<lb/>
zeichnet; aber theils war ich zu &#x017F;ehr mit<lb/>
meinen Empfindungen be&#x017F;chäftigt, und trach¬<lb/>
tete nur das eine, was Noth i&#x017F;t, er&#x017F;t recht<lb/>
ins Reine zu bringen, theils &#x017F;chienen doch<lb/>
alle die Sachen, die ich ge&#x017F;ehen hatte, mich<lb/>
wie die übrigen weltlichen Dinge zu zer¬<lb/>
&#x017F;treuen. Nun war ich zum er&#x017F;tenmal durch<lb/>
etwas Äußerliches auf mich &#x017F;elb&#x017F;t zurück ge¬<lb/>
führt, und ich lernte den Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen<lb/>
dem natürlichen vortreflichen Ge&#x017F;ang der<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[327/0333] Menſchen. Wie doppelt angenehm iſt es uns alſo, wenn aus einer menſchlichen Woh¬ nung uns der Geiſt einer höhern, obgleich auch nur ſinnlichen, Kultur entgegen ſpricht! Mit vieler Lebhaftigkeit ward mir dieſes auf dem Schloſſe meines Oheims anſchau¬ lich. Ich hatte vieles von Kunſt gehört und geleſen, Philo ſelbſt war ein großer Liebha¬ ber von Gemälden, und hatte eine ſchöne Sammlung; auch ich ſelbſt hatte viel ge¬ zeichnet; aber theils war ich zu ſehr mit meinen Empfindungen beſchäftigt, und trach¬ tete nur das eine, was Noth iſt, erſt recht ins Reine zu bringen, theils ſchienen doch alle die Sachen, die ich geſehen hatte, mich wie die übrigen weltlichen Dinge zu zer¬ ſtreuen. Nun war ich zum erſtenmal durch etwas Äußerliches auf mich ſelbſt zurück ge¬ führt, und ich lernte den Unterſchied zwiſchen dem natürlichen vortreflichen Geſang der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/333
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/333>, abgerufen am 26.05.2024.