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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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Die Trauung selbst ward unvermuthet
auf eine herzliche Art eingeleitet, eine vor¬
trefliche Vocalmusik überraschte uns, und
der Geistliche wußte dieser Ceremonie alle
Feierlichkeit der Wahrheit zu geben. Ich
stand neben Philo, und statt mir Glück zu
wünschen, sagte er mit einem tiefen Seufzer:
als ich die Schwester sah die Hand hinge¬
ben, war mir's, als ob man mich mit sied¬
heißen Wasser begossen hätte. Warum?
fragte ich. Es ist mir allezeit so, wenn ich
eine Copulation ansehe, versetzte er. Ich
lachte über ihn, und habe nachher oft genug
an seine Worte zu denken gehabt.

Die Heiterkeit der Gesellschaft, worunter
viel junge Leute waren, schien noch einmal
so glänzend, indem alles, was uns umgab,
würdig und ernsthaft war. Aller Hausrath,
Tafelzeug, Service und Tischaufsätze stimm¬
ten zu dem Ganzen, und wenn mir sonst

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Die Trauung ſelbſt ward unvermuthet
auf eine herzliche Art eingeleitet, eine vor¬
trefliche Vocalmuſik überraſchte uns, und
der Geiſtliche wußte dieſer Ceremonie alle
Feierlichkeit der Wahrheit zu geben. Ich
ſtand neben Philo, und ſtatt mir Glück zu
wünſchen, ſagte er mit einem tiefen Seufzer:
als ich die Schweſter ſah die Hand hinge¬
ben, war mir’s, als ob man mich mit ſied¬
heißen Waſſer begoſſen hätte. Warum?
fragte ich. Es iſt mir allezeit ſo, wenn ich
eine Copulation anſehe, verſetzte er. Ich
lachte über ihn, und habe nachher oft genug
an ſeine Worte zu denken gehabt.

Die Heiterkeit der Geſellſchaft, worunter
viel junge Leute waren, ſchien noch einmal
ſo glänzend, indem alles, was uns umgab,
würdig und ernſthaft war. Aller Hausrath,
Tafelzeug, Service und Tiſchaufſätze ſtimm¬
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[323/0329] Die Trauung ſelbſt ward unvermuthet auf eine herzliche Art eingeleitet, eine vor¬ trefliche Vocalmuſik überraſchte uns, und der Geiſtliche wußte dieſer Ceremonie alle Feierlichkeit der Wahrheit zu geben. Ich ſtand neben Philo, und ſtatt mir Glück zu wünſchen, ſagte er mit einem tiefen Seufzer: als ich die Schweſter ſah die Hand hinge¬ ben, war mir’s, als ob man mich mit ſied¬ heißen Waſſer begoſſen hätte. Warum? fragte ich. Es iſt mir allezeit ſo, wenn ich eine Copulation anſehe, verſetzte er. Ich lachte über ihn, und habe nachher oft genug an ſeine Worte zu denken gehabt. Die Heiterkeit der Geſellſchaft, worunter viel junge Leute waren, ſchien noch einmal ſo glänzend, indem alles, was uns umgab, würdig und ernſthaft war. Aller Hausrath, Tafelzeug, Service und Tiſchaufſätze ſtimm¬ ten zu dem Ganzen, und wenn mir ſonſt X 2

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/329>, abgerufen am 18.05.2024.