Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

sturz, der, ob er gleich nicht gefährlich war
und schnell vorüber ging, doch lange Zeit
eine merkliche Schwachheit hinterließ.

Hier hatte ich nun wieder eine neue Lek¬
tion aufzusagen. Ich that es freudig; nichts
fesselte mich an die Welt, und ich war über¬
zeugt, daß ich hier das Rechte niemals fin¬
den würde, und so war ich in dem heitersten
und ruhigsten Zustande, und ward, indem ich
Verzicht aufs Leben gethan hatte, beym Le¬
ben erhalten.

Eine neue Prüfung hatte ich auszustehen,
da meine Mutter mit einer drückenden Be¬
schwerde überfallen wurde, die sie noch fünf
Jahre trug, ehe sie die Schuld der Natur
bezahlte. In dieser Zeit gab es manche
Übung. Oft wenn ihr die Bangigkeit zu stark
wurde, ließ sie uns des Nachts alle vor ihr
Bette rufen, um wenigstens durch unsre Ge¬
genwart zerstreut, wo nicht gebessert zu wer¬

ſturz, der, ob er gleich nicht gefährlich war
und ſchnell vorüber ging, doch lange Zeit
eine merkliche Schwachheit hinterließ.

Hier hatte ich nun wieder eine neue Lek¬
tion aufzuſagen. Ich that es freudig; nichts
feſſelte mich an die Welt, und ich war über¬
zeugt, daß ich hier das Rechte niemals fin¬
den würde, und ſo war ich in dem heiterſten
und ruhigſten Zuſtande, und ward, indem ich
Verzicht aufs Leben gethan hatte, beym Le¬
ben erhalten.

Eine neue Prüfung hatte ich auszuſtehen,
da meine Mutter mit einer drückenden Be¬
ſchwerde überfallen wurde, die ſie noch fünf
Jahre trug, ehe ſie die Schuld der Natur
bezahlte. In dieſer Zeit gab es manche
Übung. Oft wenn ihr die Bangigkeit zu ſtark
wurde, ließ ſie uns des Nachts alle vor ihr
Bette rufen, um wenigſtens durch unſre Ge¬
genwart zerſtreut, wo nicht gebeſſert zu wer¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0288" n="282"/>
&#x017F;turz, der, ob er gleich nicht gefährlich war<lb/>
und &#x017F;chnell vorüber ging, doch lange Zeit<lb/>
eine merkliche Schwachheit hinterließ.</p><lb/>
            <p>Hier hatte ich nun wieder eine neue Lek¬<lb/>
tion aufzu&#x017F;agen. Ich that es freudig; nichts<lb/>
fe&#x017F;&#x017F;elte mich an die Welt, und ich war über¬<lb/>
zeugt, daß ich hier das Rechte niemals fin¬<lb/>
den würde, und &#x017F;o war ich in dem heiter&#x017F;ten<lb/>
und ruhig&#x017F;ten Zu&#x017F;tande, und ward, indem ich<lb/>
Verzicht aufs Leben gethan hatte, beym Le¬<lb/>
ben erhalten.</p><lb/>
            <p>Eine neue Prüfung hatte ich auszu&#x017F;tehen,<lb/>
da meine Mutter mit einer drückenden Be¬<lb/>
&#x017F;chwerde überfallen wurde, die &#x017F;ie noch fünf<lb/>
Jahre trug, ehe &#x017F;ie die Schuld der Natur<lb/>
bezahlte. In die&#x017F;er Zeit gab es manche<lb/>
Übung. Oft wenn ihr die Bangigkeit zu &#x017F;tark<lb/>
wurde, ließ &#x017F;ie uns des Nachts alle vor ihr<lb/>
Bette rufen, um wenig&#x017F;tens durch un&#x017F;re Ge¬<lb/>
genwart zer&#x017F;treut, wo nicht gebe&#x017F;&#x017F;ert zu wer¬<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[282/0288] ſturz, der, ob er gleich nicht gefährlich war und ſchnell vorüber ging, doch lange Zeit eine merkliche Schwachheit hinterließ. Hier hatte ich nun wieder eine neue Lek¬ tion aufzuſagen. Ich that es freudig; nichts feſſelte mich an die Welt, und ich war über¬ zeugt, daß ich hier das Rechte niemals fin¬ den würde, und ſo war ich in dem heiterſten und ruhigſten Zuſtande, und ward, indem ich Verzicht aufs Leben gethan hatte, beym Le¬ ben erhalten. Eine neue Prüfung hatte ich auszuſtehen, da meine Mutter mit einer drückenden Be¬ ſchwerde überfallen wurde, die ſie noch fünf Jahre trug, ehe ſie die Schuld der Natur bezahlte. In dieſer Zeit gab es manche Übung. Oft wenn ihr die Bangigkeit zu ſtark wurde, ließ ſie uns des Nachts alle vor ihr Bette rufen, um wenigſtens durch unſre Ge¬ genwart zerſtreut, wo nicht gebeſſert zu wer¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/288
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/288>, abgerufen am 21.05.2024.