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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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den. Schwerer, ja kaum zu tragen, war der
Druck, als mein Vater auch elend zu werden
anfing. Von Jugend auf hatte er öfters
heftige Kopfschmerzen, die aber aufs längste
nur sechs und dreißig Stunden anhielten.
Nun aber wurden sie bleibend und wenn sie
auf einen hohen Grad stiegen, so zerriß der
Jammer mir das Herz. Bey diesen Stür¬
men fühlte ich meine körperliche Schwäche
am meisten, weil sie mich hinderte, meine hei¬
ligsten liebsten Pflichten zu erfüllen, oder mir
doch ihre Ausübung äußerst beschwerlich
machte.

Nun konnte ich mich prüfen, ob auf dem
Wege, den ich eingeschlagen, Wahrheit oder
Phantasie sey, ob ich vielleicht nur nach an¬
dern gedacht, oder ob der Gegenstand mei¬
nes Glaubens eine Realität habe, und zu
meiner größten Unterstützung fand ich immer
das letzte. Die gerade Richtung meines

den. Schwerer, ja kaum zu tragen, war der
Druck, als mein Vater auch elend zu werden
anfing. Von Jugend auf hatte er öfters
heftige Kopfſchmerzen, die aber aufs längſte
nur ſechs und dreißig Stunden anhielten.
Nun aber wurden ſie bleibend und wenn ſie
auf einen hohen Grad ſtiegen, ſo zerriß der
Jammer mir das Herz. Bey dieſen Stür¬
men fühlte ich meine körperliche Schwäche
am meiſten, weil ſie mich hinderte, meine hei¬
ligſten liebſten Pflichten zu erfüllen, oder mir
doch ihre Ausübung äußerſt beſchwerlich
machte.

Nun konnte ich mich prüfen, ob auf dem
Wege, den ich eingeſchlagen, Wahrheit oder
Phantaſie ſey, ob ich vielleicht nur nach an¬
dern gedacht, oder ob der Gegenſtand mei¬
nes Glaubens eine Realität habe, und zu
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das letzte. Die gerade Richtung meines

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[283/0289] den. Schwerer, ja kaum zu tragen, war der Druck, als mein Vater auch elend zu werden anfing. Von Jugend auf hatte er öfters heftige Kopfſchmerzen, die aber aufs längſte nur ſechs und dreißig Stunden anhielten. Nun aber wurden ſie bleibend und wenn ſie auf einen hohen Grad ſtiegen, ſo zerriß der Jammer mir das Herz. Bey dieſen Stür¬ men fühlte ich meine körperliche Schwäche am meiſten, weil ſie mich hinderte, meine hei¬ ligſten liebſten Pflichten zu erfüllen, oder mir doch ihre Ausübung äußerſt beſchwerlich machte. Nun konnte ich mich prüfen, ob auf dem Wege, den ich eingeſchlagen, Wahrheit oder Phantaſie ſey, ob ich vielleicht nur nach an¬ dern gedacht, oder ob der Gegenſtand mei¬ nes Glaubens eine Realität habe, und zu meiner größten Unterſtützung fand ich immer das letzte. Die gerade Richtung meines

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/289>, abgerufen am 22.05.2024.