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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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Doch fühlte ich bey meiner Rückkunft
nicht so glückliche körperliche Folgen von
dieser Reise. Bey der größten Enthaltsam¬
keit und der genausten Diät war ich doch
nicht wie sonst Herr von meiner Zeit und
meinen Kräften. Nahrung, Bewegung, Auf¬
stehn und Schlafengehn, Ankleiden und Aus¬
fahren hing nicht wie zu Hause von meinem
Willen und meinem Empfinden ab. Im
Laufe des geselligen Kreises darf man nicht
stocken, ohne unhöflich zu seyn, und alles
was nöthig war, leistete ich gern, weil ich es
für Pflicht hielt, weil ich wußte, daß es bald
vorüber gehen würde, und weil ich mich ge¬
sunder als jemals fühlte. Demohngeachtet
mußte dieses fremde unruhige Leben auf mich
stärker als ich fühlte gewirkt haben. Denn
kaum war ich zu Hause angekommen und
hatte meine Eltern mit einer befriedigenden
Erzählung erfreut, so überfiel mich ein Blut¬

Doch fühlte ich bey meiner Rückkunft
nicht ſo glückliche körperliche Folgen von
dieſer Reiſe. Bey der größten Enthaltſam¬
keit und der genauſten Diät war ich doch
nicht wie ſonſt Herr von meiner Zeit und
meinen Kräften. Nahrung, Bewegung, Auf¬
ſtehn und Schlafengehn, Ankleiden und Aus¬
fahren hing nicht wie zu Hauſe von meinem
Willen und meinem Empfinden ab. Im
Laufe des geſelligen Kreiſes darf man nicht
ſtocken, ohne unhöflich zu ſeyn, und alles
was nöthig war, leiſtete ich gern, weil ich es
für Pflicht hielt, weil ich wußte, daß es bald
vorüber gehen würde, und weil ich mich ge¬
ſunder als jemals fühlte. Demohngeachtet
mußte dieſes fremde unruhige Leben auf mich
ſtärker als ich fühlte gewirkt haben. Denn
kaum war ich zu Hauſe angekommen und
hatte meine Eltern mit einer befriedigenden
Erzählung erfreut, ſo überfiel mich ein Blut¬

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[281/0287] Doch fühlte ich bey meiner Rückkunft nicht ſo glückliche körperliche Folgen von dieſer Reiſe. Bey der größten Enthaltſam¬ keit und der genauſten Diät war ich doch nicht wie ſonſt Herr von meiner Zeit und meinen Kräften. Nahrung, Bewegung, Auf¬ ſtehn und Schlafengehn, Ankleiden und Aus¬ fahren hing nicht wie zu Hauſe von meinem Willen und meinem Empfinden ab. Im Laufe des geſelligen Kreiſes darf man nicht ſtocken, ohne unhöflich zu ſeyn, und alles was nöthig war, leiſtete ich gern, weil ich es für Pflicht hielt, weil ich wußte, daß es bald vorüber gehen würde, und weil ich mich ge¬ ſunder als jemals fühlte. Demohngeachtet mußte dieſes fremde unruhige Leben auf mich ſtärker als ich fühlte gewirkt haben. Denn kaum war ich zu Hauſe angekommen und hatte meine Eltern mit einer befriedigenden Erzählung erfreut, ſo überfiel mich ein Blut¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/287>, abgerufen am 21.05.2024.