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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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sen todt, nichts hatte außer ihm einen Reiz
für mich. Selbst meine Liebe zum Putz hatte
nur den Zweck, ihm zu gefallen; wußte ich,
daß er mich nicht sah, so konnte ich keine
Sorgfalt darauf wenden. Ich tanzte gern,
wenn er aber nicht dabey war, so schien mir,
als wenn ich die Bewegung nicht vertragen
könnte. Auf ein brillantes Fest, bey dem er
nicht zugegen war, konnte ich mir weder etwas
neues anschaffen, noch das alte der Mode
gemäß aufstutzen. Einer war mir so lieb
als der andere, doch möchte ich lieber sagen,
einer so lästig als der andere. Ich glaubte
meinen Abend recht gut zugebracht zu haben,
wenn ich mir mit ältern Personen ein Spiel
ausmachen konnte, wozu ich sonst nicht die
mindeste Lust hatte, und wenn ein alter gu¬
ter Freund mich etwa scherzhaft darüber
aufzog, lächelte ich vielleicht das erstemal
den ganzen Abend. So ging es mit Pro¬

ſen todt, nichts hatte außer ihm einen Reiz
für mich. Selbſt meine Liebe zum Putz hatte
nur den Zweck, ihm zu gefallen; wußte ich,
daß er mich nicht ſah, ſo konnte ich keine
Sorgfalt darauf wenden. Ich tanzte gern,
wenn er aber nicht dabey war, ſo ſchien mir,
als wenn ich die Bewegung nicht vertragen
könnte. Auf ein brillantes Feſt, bey dem er
nicht zugegen war, konnte ich mir weder etwas
neues anſchaffen, noch das alte der Mode
gemäß aufſtutzen. Einer war mir ſo lieb
als der andere, doch möchte ich lieber ſagen,
einer ſo läſtig als der andere. Ich glaubte
meinen Abend recht gut zugebracht zu haben,
wenn ich mir mit ältern Perſonen ein Spiel
ausmachen konnte, wozu ich ſonſt nicht die
mindeſte Luſt hatte, und wenn ein alter gu¬
ter Freund mich etwa ſcherzhaft darüber
aufzog, lächelte ich vielleicht das erſtemal
den ganzen Abend. So ging es mit Pro¬

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[248/0254] ſen todt, nichts hatte außer ihm einen Reiz für mich. Selbſt meine Liebe zum Putz hatte nur den Zweck, ihm zu gefallen; wußte ich, daß er mich nicht ſah, ſo konnte ich keine Sorgfalt darauf wenden. Ich tanzte gern, wenn er aber nicht dabey war, ſo ſchien mir, als wenn ich die Bewegung nicht vertragen könnte. Auf ein brillantes Feſt, bey dem er nicht zugegen war, konnte ich mir weder etwas neues anſchaffen, noch das alte der Mode gemäß aufſtutzen. Einer war mir ſo lieb als der andere, doch möchte ich lieber ſagen, einer ſo läſtig als der andere. Ich glaubte meinen Abend recht gut zugebracht zu haben, wenn ich mir mit ältern Perſonen ein Spiel ausmachen konnte, wozu ich ſonſt nicht die mindeſte Luſt hatte, und wenn ein alter gu¬ ter Freund mich etwa ſcherzhaft darüber aufzog, lächelte ich vielleicht das erſtemal den ganzen Abend. So ging es mit Pro¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/254>, abgerufen am 21.05.2024.