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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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zu schätzen. Inzwischen entspann sich aus
anscheinenden Kleinigkeiten etwas, das un¬
serm Verhältnisse nach und nach schädlich
wurde

Narciß ging als Bräutigam mit mir um,
und nie wagte er es, das von mir zu begeh¬
ren, was uns noch verboten war. Allein
über die Grenzen der Tugend und Sittsam¬
keit waren wir sehr verschiedener Meynung.
Ich wollte sicher gehen und erlaubte durch¬
aus keine Freyheit, als welche allenfalls die
ganze Welt hätte wissen dürfen. Er, an
Näschereyen gewöhnt, fand diese Diät sehr
streng; hier setzte es nun beständigen Wider¬
spruch; er lobte mein Verhalten und suchte
meinen Entschluß zu untergraben.

Mir fiel das ernsthaft meines alten
Sprachmeisters wieder ein, und zugleich das
Hülfsmittel, das ich damals dagegen ange¬
geben hatte.

zu ſchätzen. Inzwiſchen entſpann ſich aus
anſcheinenden Kleinigkeiten etwas, das un¬
ſerm Verhältniſſe nach und nach ſchädlich
wurde

Narciß ging als Bräutigam mit mir um,
und nie wagte er es, das von mir zu begeh¬
ren, was uns noch verboten war. Allein
über die Grenzen der Tugend und Sittſam¬
keit waren wir ſehr verſchiedener Meynung.
Ich wollte ſicher gehen und erlaubte durch¬
aus keine Freyheit, als welche allenfalls die
ganze Welt hätte wiſſen dürfen. Er, an
Näſchereyen gewöhnt, fand dieſe Diät ſehr
ſtreng; hier ſetzte es nun beſtändigen Wider¬
ſpruch; er lobte mein Verhalten und ſuchte
meinen Entſchluß zu untergraben.

Mir fiel das ernſthaft meines alten
Sprachmeiſters wieder ein, und zugleich das
Hülfsmittel, das ich damals dagegen ange¬
geben hatte.

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[246/0252] zu ſchätzen. Inzwiſchen entſpann ſich aus anſcheinenden Kleinigkeiten etwas, das un¬ ſerm Verhältniſſe nach und nach ſchädlich wurde Narciß ging als Bräutigam mit mir um, und nie wagte er es, das von mir zu begeh¬ ren, was uns noch verboten war. Allein über die Grenzen der Tugend und Sittſam¬ keit waren wir ſehr verſchiedener Meynung. Ich wollte ſicher gehen und erlaubte durch¬ aus keine Freyheit, als welche allenfalls die ganze Welt hätte wiſſen dürfen. Er, an Näſchereyen gewöhnt, fand dieſe Diät ſehr ſtreng; hier ſetzte es nun beſtändigen Wider¬ ſpruch; er lobte mein Verhalten und ſuchte meinen Entſchluß zu untergraben. Mir fiel das ernſthaft meines alten Sprachmeiſters wieder ein, und zugleich das Hülfsmittel, das ich damals dagegen ange¬ geben hatte.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/252>, abgerufen am 21.05.2024.